Texte - Nachdenkliches.
Geschrieben zum Urlaub.

Die Texte entstanden nach besonders beeindruckenden Erlebnissen. Sie wurden direkt, am Abend des jeweiligen Tages aufgeschrieben.

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Gefahren und Charaktere

Man trifft alle möglichen Leute auf so einer Hütte, Übervorsichtige, Leichtsinnige, Bergsteiger und Neulinge, Flachländer und alte Hasen. Menschen wie wir, die alles mit sich führen, aber nicht an Winter im Sommer geglaubt haben und deswegen weder Mützen noch Handschuhe mit sich herumtragen. Aber wir kämen auch bei null Grad zurecht, es sähe nur etwas putzig aus.

Dann trifft man Leute, die bei vorausgesagtem Regen und Gewitter mit kurzen Hosen, kurzärmlig, ohne Rucksack unterwegs sind bei zehn Grad, in jede Richtung zu einer Unterkunft braucht es mindestens zwei Stunden und es ist schon achtzehn Uhr. Was ist das? Gottvertrauen, es wird schon nicht so schlimm werden? Oder eine kurze Meldung in der Zeitung, Ehepaar erfroren oder Ehepaar abgestürzt?

Oder man trifft Mütter, die ihr Kind im Kinderwagen von der Auronzo -Hütte zur Drei-Zinnen-Hütte schieben, aber dann den Rückweg nicht mehr schaffen und die Bergrettung rufen. Sicher war die Mutter in diesem Moment in Not, aber wäre nicht vorher nachdenken, abschätzen der eigenen Kräfte und möglicherweise der Verzicht, auf diese Art die Hütte zu besuchen, für alle besser gewesen?

Die Berge haben wohl eine magische Anziehungskraft. Aber sollte man deshalb die Vernunft abschalten? Der Weg am Abgrund, wo man einen schicken Flug von vielleicht fünfhundert Metern hat, zeigt das Prinzip deutlich - man geht ihn, jeder Tritt stimmt, man ist drüben, alles ist in Ordnung. Aber wenn man auch nur einmal daneben tritt, abrutscht, dann wird man vielleicht zu einer Zeitungsnotiz - Wanderer abgestürzt. Wovon hängt ab, ob man daneben tritt?

Da gibt es die Draufgängertypen, ich kann das, ohne nachzudenken, drauf und los. Meist sieht das elegant aus, schnell, selbstsicher. Aber die versteckte Gefahr, die nicht gleich offensichtliche, die wird diesen Typen manchmal zum Verhängnis. Auch die Überschätzung der eigenen Kräfte oder die Unterschätzung der Naturkräfte, was dieselben Folgen hat.

Dann gibt es da den unsicheren, ängstlichen Typen. Er will alle Gefahren vermeiden, geht auf Nummer sicher. Aber die Berge ziehen auch ihn an. Und er kann nicht alle Gefahren vermeiden, denn er kann sie nicht alle voraussehen. Er kommt an einer schwierigen Stelle an, wird von Angstattacken geplagt, kann sich kaum bewegen, ist wie blockiert. Er hat keinen sicheren Stand und Tritt, im Gegenteil, die Angst macht ihn fast unbeweglich. Aber er muss sich bewegen, er traut sich nicht, wo ein einfacher Schritt gereicht hätte, rutscht er den Hang hinunter.

Ja, wo ist nun das Ideal? Zwischen Draufgängertum und Angsthasen? Mut, keine Angst, Sicherheit und Vertrauen auf die eigenen Kräfte - durch Übung, durch Vorbereitung, durch Erfahrung, vor allem durch Selbsterfahrung, wo habe ich Probleme, wo bin ich stark? Auf der anderen Seite alles hinterfragen, Erfahrungen aufnehmen, scheinbar Sicheres prüfen. Offen sein für Anregungen, für die Erfahrungen anderer.

Frag einen Einheimischen nach der Schwierigkeit eines Steiges - meist hörst du - kein Problem, gehen wir immer, ist ganz einfach. Ja, wenn du weißt, was es bedeutet, was folgt, wenn die Wolke um die Bergspitze kommt. Wenn du weißt, wie der Weg aussieht und du sicher bist, dass du nicht im entscheidenden Moment Höhenangst bekommst. Also Vorsicht und sich selbst mit ins Spiel bringen. Hochsteigen ist wichtig, wieder herunterkommen noch wichtiger.

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Die Schnecken

Bei uns in Leipzig gibt es seit einigen Jahren große, braune Nacktschnecken in zunehmender Zahl. Man hört immer wieder, es wären spanische Schnecken. Sie wären, wie auch immer, in unser Gebiet eingewandert und würden sich mangels natürlicher Feinde explosionsartig verbreiten. Sie fressen die kleineren einheimischen Nacktschnecken - das habe ich selbst gesehen. Sie greifen bei Regen an, jedenfalls hat man das Gefühl, weil sie bei Regen zahlreich auf Wanderschaft gehen. Die Kleingartenbesitzer sind gestresst, weil sie die Kleingärten regelrecht leerfressen.

Soweit unser Wissen über die "Spanier". Wir dachten, vielleicht sind einge durch irgendeinen Zufall in unsere Gegend gelangt und haben sich hier vermehrt...

Und dann machen wir diese Alpentour. Wir sind auf der Etappe nach Stuls und es ist regnerisch, nebelig. Im Anmarsch auf Moos sind wir kurz vor dem Ort und ungefähr eintausendzweihundert Meter hoch. Über eine Wiese wandern wir zum Dorf hinunter und man kann keinen Schritt tun, ohne auf mehrere Schnecken zu treten. Wir schauen genauer hin, die kennen wir doch? Es sind dieselben Schnecken wie bei uns, wie die eingewanderten "Spanier". Sie treten hier genauso häufig auf wie auf unseren Feldern und Wiesen. Durch den Regen sind sie alle in Bewegung, das machen die bei uns auch.

Wir nehmen das zur Kenntnis, denken auch ein wenig darüber nach. Wir wundern uns, wieso gibt es die hier? Gut - wir suchen Quartier, es regnet, weiter.

Aber es lässt uns keine Ruhe. Immer, wenn wir mit jemanden ins Gespräch kommen, spielen wir auf die Schnecken an. Es gibt hier viele Gerüchte. Um Moos herum erzählt man sich zum Beispiel, ein Pfarrer hätte sie in Stuls ausgesetzt. Auch haben sie in den letzten Jahren immer höher gelegene Almen erreicht, sie scheinen zu wandern. Gemessen hat es wohl keiner, aber verschiedene Gesprächspartner schätzen, dass seit der Schneckeninvasion auf befallenen Flächen ein Viertel bis ein Drittel der Pflanzenmasse von ihnen vertilgt wird. Und sie scheinen auch hier keine Feinde zu haben.

Alle unsere Gesprächspartner sind sehr erstaunt, dass es diese Biester in Leipzig auch gibt. Alle dachten, es wäre ein lokales Problem, sie wären eingeschleppt oder jemand hätte sie ausgesetzt. Übrigens waren alle unsere Gesprächspartner der Meinung, diese Schnecken gab es früher in den Alpen nicht. Die gleiche Meinung vertreten auch bei uns viele Leute, in Leipzig gab es die früher auch nicht. Ich weiss nun gar nicht mehr, was ich denken soll. Es gibt ja zwei Möglichkeiten.

  • Die großen Nacktschnecken gibt es bei uns und in den Alpen entgegen der Meinung vieler Leute schon immer, sie haben sich nur in der letzten Zeit stark vermehrt.
  • Die Schnecken sind wirklich irgendwie "eingewandert". Wenn dies aber im gleichen Zeitraum in den Alpen und bei uns geschieht, dann ist das schon seltsam.
Ich habe am Netz geschaut, aber nicht wirklich was gefunden zu diesem Thema. Vielleicht sollte sich mal ein Biologe mit der Schneckeninvasion befassen...

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Die Gletscher

Eigentlich wollten wir bei dieser Tour auch auf einen Gletscher. Wir hatten gedacht, wir schaffen es auf den Habicht. Es hat sich nicht ergeben, wir sind auch nicht traurig deswegen, wir werden es bald nachholen.

Weil wir aber hinauf wollten, haben wir auf die Gletscher und insbesondere den Habicht geachtet. Es ist uns aufgefallen, wie stark der Gletscher des Habicht zurückgegangen ist. Unsere Karte war eine Auflage von 1994, sie war also dreizehn Jahre alt. Der Habicht war in südlicher Richtung, also zu uns hin, mit einer großen Zunge eingezeichnet. Heute ist in Richtung Süden praktisch kein Gletscher mehr vorhanden. Man erkennt an der Färbung der Steine, bis wohin das Eis mal gereicht hatte (20. Urlaubstag).

Wenn man zu Hause Nachrichten hört und es heißt: "Am Gletscher XY hat sich die Zunge um weitere vierhundert Meter zurückgezogen." - dann kommt im Normalfall eine Reaktion in Form eines kurzen "Aha" und schon hat man es wieder vergessen. Vielleicht denkt man auch noch: "Ach ja, die Erderwärmung..." und das wars dann. Aber wenn man dann den Habicht vor sich sieht, mit dem rötlichen Gestein anstelle des Gletschers - dann erfasst man die Tragweite und den Umfang der Veränderungen wohl eher.

Da ist in sehr kurzer Zeit der halbe Gletscher verschwunden. Was geht um uns herum eigentlich vor, wer kann die Veränderungen in ihrer Gesamtheit wirklich wahrnehmen? Wir machen Klimamodelle, aber das sind nur Modelle - in jedem Fall Vereinfachungen. Wir sehen einige Auswirkungen der Veränderungen - wie viele sehen wir nicht? Weil sie im Verborgenen ablaufen oder in einem Zeitrahmen, den wir nicht direkt erfassen können? Solche Gedanken gehen einem durch den Kopf, wenn man so dramatische Zeichen sieht.

Es geht mir nicht um Panikmache, Schwarzmalerei oder ähnliches. Veränderungen gab es schon immer, alles fließt. Wir Deutsche könnten ja auch jede Menge Vorteile von einer Klima - Erwärmung haben. Vielleicht ist das, was auf uns zu kommt, ja auch gut! Mich stört dabei nur das "vielleicht". Was heißt es eigentlich? Wir wissen, das etwas passiert, es verändert sich etwas. Die Erde ist ein extrem komplexes System, das wir allenfalls grob simulieren können. Ich habe das Gefühl, unser Wissenstand ist etwa so zu beschreiben: "Wir wissen, es sind Veränderungen in Gang. Wir wissen die Grundtendenz - globale Erderwärmung. Wir wissen nicht, was passieren wird, die Zahl der Einflussfaktoren ist zu gross."

Man kann sich das sehr schön am Golfstrom verdeutlichen. Wenn er seinen Lauf verändert, kriegen wir trocknes, kaltes Festlandklima aus dem Osten und wir können ganzjährig am Brocken rodeln und Ski fahren. In den anderen deutschen Mittelgebirgen übrigens auch, in der Eiszeit erstreckte sich das einen Kilometer dicke Eis bis zum Thüringer Wald.

Bleibt der Golfstrom allerdings so oder wird er noch stärker, dann kriegen wir demnächst Mittelmeer - Klima an der Ostsee. Dann haben wir im Sommer eine schicke Regenzeit und es wachsen Palmen überall. Es weiß nur keiner, wie sich der Golfstrom nun entscheidet, das hängt wiederum von vielen Faktoren ab.

Ja, und ich als Bürger habe nun ein Problem. Kaufe ich mir nun eine Skiausrüstung oder ein Boot und einen Taucheranzug? Aber im Ernst, wir wissen nicht, wie sich alles verändern wird. Also können wir auch keine Vorkehrungen treffen, wir können immer nur reagieren. Damit wird die Klimaänderung und ihre Vermeidung zu einer Art Lotterie, alle Erfahrungen sagen, dass man da meist verliert.

Wir brauchen Investitionen in die Wissenschaft, um die Umwelt zu erhalten. Zuerst müssen wir verstehen, was geschieht und warum. Dann müssen wir andere, neue Wege finden. Ein "Immer weiter so!" könnte unser Ende sein.

Es gibt aber noch einen zweiten Weg, den man gehen kann. Auch parallel zu anderen Maßnahmen. Es wäre ja sicher besser, die unkalkulierbaren Veränderungen erst gar nicht eintreten zu lassen. Auch wenn sich die Veränderungen nicht mehr komplett aufhalten lassen, kann man versuchen, sie zu begrenzen. Es gibt ein Wort dafür - Klimaschutz.

Die Finanzkrise hat gezeigt - Geld kann man nicht essen. Wir müssen zurückfinden zu den Grundwerten. Die Wirtschaft ist für den Menschen da und nicht umgekehrt. Bei aller Marktwirtschaft und allem Wettbewerb - der Rahmen, die Grundregel für alles muss das würdevolle Leben aller Menschen sein. In diesem Rahmen, unter Beachtung von Regeln zum Schutz des Sozialen und der Umwelt kann der Wettbewerb toben. Wer mehr leistet, soll sich auch mehr leisten können. Aber die letzten Jahre haben auch gezeigt, das nicht der Leistung entsprechende, übermäßige Gewinne und die durch Leistung nicht gerechtfertigten Supervermögen die Gesellschaft beschädigen und zerstören. Es muss auch hier Regeln und vor allem Grenzen des Reichtums geben.

Wir hatten in der DDR auch solche Schlaumeier, die sich Bunker gebaut haben für den Ernstfall. Sie hätten den Atomschlag noch dreißig Tage überlebt und dann... Toll, da hat man das Elend ein wenig länger, bevor es zu Ende ist.

Manche der heute Reichen und Mächtigen scheinen auch so einer Bunkermentalität anzuhängen. Aber wenn sich die Veränderungen auf dieser Welt in Form eines Schneeballeffektes manifestieren, dann können Reichtum und Macht das eigene Ende nur verzögern, aber nicht verhindern... Dann wird die Agonie nur länger. Und jetzt schließt sich der Kreis, der Schneeball rollt schon, wie auch der gletscherlose Habicht zeigt. Übrigens, so ein Schneeball wird mit zunehmender Größe immer schneller und gewaltiger...

Es geht nicht um Schwarzmalerei, aber jeder sollte sich der Probleme bewußt werden. Dann sollte jeder für sich seine ganz persönlichen Schlußfolgerungen ziehen. Wir alle, egal ob reich oder arm, müssen unsere Gewohnheiten und unseren Lebensstil ändern. Jeder für sich und alle gemeinsam müssenwir nach neuen Wegen suchen. Spätestens im Tod sind wir wieder alle gleich.

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