Texte: Nachdenkliches.
Geschrieben im Urlaub

Die Texte entstanden nach besonders beeindruckenden Erlebnissen. Sie wurden direkt, am Abend des jeweiligen Tages aufgeschrieben.

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Warum tue ich mir das an?

Unsere Welt hat einen Grundsatz, gegen den immer mehr Leute aufbegehren: "Mach es Dir leicht!" Dieser Leitsatz treibt die Entwicklung neuer Dinge an, die uns alles Mögliche leichter machen. Wir sind eingesponnen, eingewoben in ein Netz von Erleichterungen. Für alles gibt es ein Gerät, das uns etwas abnimmt. Für das Laufen das Auto, die Bahn, das Flugzeug. Nahrungssuche, Nahrungserzeugung - schieb die Pizza in den Ofen, die Fertignahrung in die Mikrowelle. Waschen - macht eine Maschine, Trocknen auch. Denken nimmt einem der Fernseher ab, wenn man das möchte, manchmal auch, wenn man das nicht möchte. Oder die Zeitung mit den Großen Buchstaben, mit großen Losungen und wenig Erklärungen. Bedienungsanleitungen gibt es, selbst für Computer und Internet, so schlecht sie oft auch sind. Auch unsere Waschmaschine ist genau beschrieben.

Wo steht aber was von der indirekten Wirkung der Erleichterung auf mich? Wohlgemerkt, all die Erleichterungen sollen und müssen sein, sie schaffen Freiheit und Freizeit. Aber sind die Bedienungsanleitungen vollständig? Was heißt das, wenn ich früh von Maschinen geweckt werde, die mir alles abnehmen? Dann steige ich in den Fahrstuhl, er fährt mich zu meinem Auto, dies wieder zu einem anderen Fahrstuhl, der mich zu meinem Sessel bringt. Mittags laufe ich zur Kantine, das sind hundert Meter und ein Stockwerk, vertikal macht das natürlich der Lift. Dann zurück zu meinem Schreibtisch vor den Rechner. Abends schafft mich der Lift zum Auto, ein bisschen Stau, dann Lift nach oben, Fernseher an, schnell was warm gemacht, der Tag war anstrengend. Das ist nicht ironisch gemeint, er war anstrengend. Acht Stunden volle Aufmerksamkeit bei fast vollständiger Bewegungslosigkeit - dafür ist unser Körper eigentlich nicht gemacht. Auch Denken braucht Sauerstoff, wo soll der herkommen, wenn mein Körper praktisch schläft? Ich nutze also meinen Körper im Grenzbereich, dafür ist er nicht ausgelegt.

Nun sitze ich also vorm Fernseher, mir wird gezeigt, was ich denken soll. Das ist Entspannung, da zur körperlichen Entspannung, die ich schon den ganzen Tag habe, die geistige hinzukommt. Was sagt die Natur dazu? Sie hatte ein Umfeld entwickelt, für das unser Biorhythmus perfekt ist. Da muss ich mich körperlich anstrengen, um mich zu ernähren. Ob ich Mammute jagen gehe mit den anderen Männern oder Beerensammeln mit den Frauen, hohe Konzentration fällt zusammen mit hoher körperlicher Anstrengung. Dann bin ich satt, ich ruhe, sammle neue Kräfte, körperlich, geistig. Die Maschinen trennen das, in jede Bedienungsanleitung gehört der Satz - "Das, was Ihnen diese Maschine an körperlicher Mühe abnimmt - das müssen Sie sich woanders holen - treiben Sie Sport, belasten Sie Ihren Körper! Bringen sie sich ins Gleichgewicht! Alles leicht ohne Ausgleich macht krank, Ihr Kreislauf leidet, ihre Adern verkalken, ihre Leistungsfähigkeit tendiert zu Null - sie missbrauchen sich!"

Deshalb tun wir uns das an, wir steigen mit zwanzig, dreißig Kilo auf dem Rücken tausend Meter hoch, obwohl wir auch mit der Seilbahn hätten hinauffahren können. Deswegen suchen wir von Bewegungsarmut Geschädigten den Einklang von Bewegung, körperlicher und geistiger, wenigstens in den drei Wochen Urlaub.

Vielleicht müssen wir es erst noch lernen, jeden Tag zwei oder drei Stunden den Computer und den Fernseher auszuschalten und uns zu belasten, körperlich, bis zum biologisch erforderlichen Maß? Das ist schon so, die Fitnessbewegung hat ja nicht umsonst so zugenommen. Und warum ist dann jeder zweite Jugendliche zu dick und zu schwer? Freiheit ist immer auch Verantwortung - ich muss mich nicht belasten, aber ich will es! Das klingt kompliziert, ist aber ganz einfach, ich kann heute einplanen, wann ich mich körperlich betätige. Nicht mehr die Umstände verlangen von mir körperliche Leistung, ich selbst muss es tun.

Es steht mir frei, wann, aber ich muss von mir aus die Treppe nehmen statt dem Lift. Die Trekking - Tour ist nur der Höhepunkt, das Sahnehäubchen. Sie zwingt uns, uns vorzubereiten auf die Mühen. Wenn wir das aushalten wollen, uns selbst und unseren halben Haushalt auf zweitausendfünfhundert Meter hoch zu schleppen, da brauchen wir etwas Leistungsfähigkeit. Das hilft uns täglich, obwohl wir uns "kaputt fühlen vom Stress", wohlgemerkt, nur vom geistigen, es hilft uns, raus zu gehen, Fahrrad zu fahren, zu laufen, zu schwimmen. So eine Tour bringt uns dann letztendlich ins Gleichgewicht, man schwitzt, ist an der Grenze und dabei muss man sich auch noch auf jeden Tritt, auf den Weg, auf die Umwelt konzentrieren. Was auf den ersten Blick wie Quälerei aussieht ist aktive Erholung, solange man es nicht übertreibt. Auf so einer Tour betreiben wir unseren Körper genau in der Betriebsart, für die er konzipiert und optimiert ist. Wir sind im Gleichgewicht.

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Gefahren und Charaktere

Man trifft alle möglichen Leute auf so einer Hütte, Übervorsichtige, Leichtsinnige, Bergsteiger und Neulinge, Flachländer und alte Hasen. Menschen wie wir, die alles mit sich führen, aber nicht an Winter im Sommer geglaubt haben und deswegen weder Mützen noch Handschuhe mit sich herumtragen. Aber wir kämen auch bei null Grad zurecht, es sähe nur etwas putzig aus.

Dann trifft man Leute, die bei vorausgesagtem Regen und Gewitter mit kurzen Hosen, kurzärmlig, ohne Rucksack unterwegs sind bei zehn Grad, in jede Richtung zu einer Unterkunft braucht es mindestens zwei Stunden und es ist schon achtzehn Uhr. Was ist das? Gottvertrauen, es wird schon nicht so schlimm werden? Oder eine kurze Meldung in der Zeitung, Ehepaar erfroren oder Ehepaar abgestürzt?

Oder man trifft Mütter, die ihr Kind im Kinderwagen von der Auronzo -Hütte zur Drei-Zinnen-Hütte schieben, aber dann den Rückweg nicht mehr schaffen und die Bergrettung rufen. Sicher war die Mutter in diesem Moment in Not, aber wäre nicht vorher nachdenken, abschätzen der eigenen Kräfte und möglicherweise der Verzicht, auf diese Art die Hütte zu besuchen, für alle besser gewesen?

Die Berge haben wohl eine magische Anziehungskraft. Aber sollte man deshalb die Vernunft abschalten? Der Weg am Abgrund, wo man einen schicken Flug von vielleicht fünfhundert Metern hat, zeigt das Prinzip deutlich - man geht ihn, jeder Tritt stimmt, man ist drüben, alles ist in Ordnung. Aber wenn man auch nur einmal daneben tritt, abrutscht, dann wird man vielleicht zu einer Zeitungsnotiz - Wanderer abgestürzt. Wovon hängt ab, ob man daneben tritt?

Da gibt es die Draufgängertypen, ich kann das, ohne nachzudenken, drauf und los. Meist sieht das elegant aus, schnell, selbstsicher. Aber die versteckte Gefahr, die nicht gleich offensichtliche, die wird diesen Typen manchmal zum Verhängnis. Auch die Überschätzung der eigenen Kräfte oder die Unterschätzung der Naturkräfte, was dieselben Folgen hat.

Dann gibt es da den unsicheren, ängstlichen Typen. Er will alle Gefahren vermeiden, geht auf Nummer sicher. Aber die Berge ziehen auch ihn an. Und er kann nicht alle Gefahren vermeiden, denn er kann sie nicht alle voraussehen. Er kommt an einer schwierigen Stelle an, wird von Angstattacken geplagt, kann sich kaum bewegen, ist wie blockiert. Er hat keinen sicheren Stand und Tritt, im Gegenteil, die Angst macht ihn fast unbeweglich. Aber er muss sich bewegen, er traut sich nicht, wo ein einfacher Schritt gereicht hätte, rutscht er den Hang hinunter.

Ja, wo ist nun das Ideal? Zwischen Draufgängertum und Angsthasen? Mut, keine Angst, Sicherheit und Vertrauen auf die eigenen Kräfte - durch Übung, durch Vorbereitung, durch Erfahrung, vor allem durch Selbsterfahrung, wo habe ich Probleme, wo bin ich stark? Auf der anderen Seite alles hinterfragen, Erfahrungen aufnehmen, scheinbar Sicheres prüfen. Offen sein für Anregungen, für die Erfahrungen anderer.

Frag einen Einheimischen nach der Schwierigkeit eines Steiges - meist hörst du - kein Problem, gehen wir immer, ist ganz einfach. Ja, wenn du weißt, was es bedeutet, was folgt, wenn die Wolke um die Bergspitze kommt. Wenn du weißt, wie der Weg aussieht und du sicher bist, dass du nicht im entscheidenden Moment Höhenangst bekommst. Also Vorsicht und sich selbst mit ins Spiel bringen. Hochsteigen ist wichtig, wieder herunterkommen noch wichtiger.

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Sonne und Wärme

Wir fahren im Sommer in die Berge. Schönes Wetter, Wärme, sonnen, wandern gehen. Und wir haben leichte Sachen mit, gehen mit freiem Oberkörper umher, leiden unter etwas Sonnenbrand. Alles war in Ordnung.

Dann stand an der Rezeption: Abkühlung, Niederschlag. Wird's halt etwas regnen, haben wir gedacht. Schneefallgrenze im Bereich von tausendachthundert bis zweitausend Meter, was soll's, wir sind bei eintausendsechshundertundfünfzig Metern.

Und dann, wie ging es weiter? Es begann zu regnen, ja, rundherum lag auf den Bergen Schnee, bei uns fiel Regen. Und es wurde kälter, abends so um die zehn Grad Celsius. Und es hörte auf zu regnen, der Himmel klarte auf, sternenklar. Wir krochen ins Zelt, in unsere Superschlafsäcke, alles in Ordnung. Nur im Gesicht war's etwas kalt in dieser Nacht. Und früh der Gang zur Toilette, der sich auch nicht verschieben lässt. Der Atem geht als kleine Wolke vorm Gesicht daher, die Kälte kneift. Das Wasser auf dem Zelt und auf dem Reißverschluss ist Eis, er geht kaum auf. Unser Zelt ist nun ein Iglu - eingeeist. Nun ist das nicht so schlimm, man kann auch im Winter zelten und bei minus zwanzig Grad. Jetzt sind nur wenige unter Null, aber es sollte doch Sommer sein!

Man kann wieder in den Schlafsack kriechen und abwarten. Aber wir wollen nicht im Schlafsack den Tag verbringen. Also wird trotzig Teewasser aufgesetzt, umgeben von der persönlichen Atem-Nebelwolke. Es ist kalt, eisig kalt. Vor uns ein Gebirgszug, sein Gipfel wird schon von der Sonne beschienen, der glückliche. Hinter uns ein Gebirgszug, das ist in Ostrichtung, deswegen sitzen wir auch noch im Schatten.

Es ist schon kalt, aber das ist noch steigerbar - Wind. Selbst die Windstopperjacke gibt auf, wenn der eisige Hauch vom Gebirge herunter kommt. Man sitzt vor dem Kocher - der ist warm. Obenauf der Topf mit dem Wasser, das immer wärmer wird. Und der eigene Rücken wird immer kälter. Und die Sonne noch Stunden entfernt. Man schaut die Sonnengrenze an, wartet zehn Minuten, jetzt ist sie ein kleines Stück gewandert. Man rechnet, vor Kälte muss man mehrmals neu ansetzen. Dann hat man es raus, es wird wohl zwei Stunden dauern. Dann wird es zehn Uhr sein - zwei Stunden noch frieren im kalten Wind - viel zu lange, Wahnsinn!

So bleibt wohl nur die Schlafsackvariante, aber trinken wir erst mal unseren Tee. Es nervt schon, die Kälte, kein Ausweg, noch so lange. Wir sitzen im Zelt und versuchen gerade, uns gegenseitig zu motivieren, damit wir durchhalten, als es plötzlich hell wird. Was ist das? Die Sonne. Die Zeltwand erwärmt sich schnell, die Wärme weckt die Lebensgeister. Wie ein Ofen, der in Windeseile angefeuert wird. Wir sitzen eine Weile und genießen die Wärme.

Wie geht das? Nun aber wollen wir wissen, warum nicht die errechneten zwei Stunden vergehen mussten. Es ist ganz einfach, der Gebirgszug hinter uns in Richtung Osten verläuft nicht genau von Nord nach Süd und sein Grat ist zerklüftet. Durch den Winkel hat die Sonne den Gipfel schräg erklommen und uns überraschenderweise schnell erreicht. Die Erleichterung, die man mit der ersten Wärme verspürt, lässt uns den Sonnenkult vergangener Kulturen verstehen. Sie ist der Motor, der alles in Bewegung hält. Nur ihre Strahlen trennen uns vom ewigen Eis. Eine Viertelstunde ihrer Aufmerksamkeit hat gereicht, dass wir kurzärmlig und lebhaft unseren Interessen nachgehen. Auf dass sie jeden Tag aufs neue die Kälte vertreibe - die Sonne.

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Hütte und Wetter

Gestern - teilweise Sonnenschein, mal eine Wolke, eine dunkle, eine helle, einzelne Regentropfen. Dann auf das Bettenlager, es ist warm, gemütlich, unsere Schlafsäcke haben uns versprochen, auch bei minus sieben Grad auf uns zu achten.

Dann in der Nacht - es pfeift, es kracht - eigentlich ist es nicht mehr Nacht. Es ist nur dunkel, aufgehellt von Blitzen. Der Krach ist Donner, unterstützt vom Klappern der Fensterläden. Der Blick hinaus landet im Winter - es schneit unter den Blitzen. Man möchte sich herumdrehen und gleich weiterschlafen.

Aber die Disziplin siegt - man muss schließlich sich waschen, frühstücken und was all die lästigen Pflichten so sind. Außerdem ist Schlafen nicht mehr möglich, das Gewitter, die Läden, die Österreicher, die gern und laut lachen, immerhin 4 Paare, das sind acht Lacher, und die allgemeine Morgenunruhe.

Also aufgestanden, den fürsorglichen, warmen Schlafsack verlassen. Und nun geht es los, die Umstände sind widrig, was ist nun zu tun? Was macht man - Diskussionen. Bleiben - aber die Reservierungen auf der nächsten Hütte! Gehen - aber die Gefahr - Schneematsch, Eis, starker Wind, Gewitter. Da wird ein Wanderpfad zur Gefahr, es hängt vom Können und der Erfahrung des Pfadgängers ab, wie das Ganze endet.

Also - die Diskussion ist schon wichtig, jeder muss sich entscheiden. Wir haben es leicht, wir haben schon gestern eine Nacht zusätzlich gebucht, aber sicher müssen wir das heutige Date mit dem Seekofel in zweitausendachthundert Metern Höhe absagen. Vielleicht ist die Ruhe, die uns aufgezwungen wird, ganz gut. Evi hat Halsschmerzen, wirft eine Tablette ein und schläft etwas. Wir werden Nachmittag einen Spaziergang durch den Matsch machen, aber ansonsten hat das Wetter heute Ruhetag befohlen.

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