Rund um die Drei-Zinnen-Hütte.
6.Urlaubstag - Donnerstag, 19.08.2004

Aufstehen ist heute halb sieben. Die Nacht war schwierig. Zeitweise war es sehr laut, sehr viele schnarchten. Außerdem ist sowohl bei Evi als auch bei mir der Puls nachts immer noch ziemlich hoch. Aus irgendeinem Grund wurden wir geweckt und lagen dann vielleicht eine Stunde wach nebeneinander, ehe wir wieder einschlafen konnten. Nach dem Waschen geht es zum Frühstück. Es gibt Kaffee, Weiß- und Schwarzbrot, Käse, Wurst, Honig, Marmelade und Butter. Bald sind wir satt - es ist echt reichhaltig.

Tag6, Bild1, 19.08.2004, 07:01 Uhr
Die Morgensonne über der Sextner Rotwand [Croda Rossa di Sesto, 2965m].
Tag6, Bild2, 19.08.2004, 07:01 Uhr
Die Drei Zinnen [Tre Cime di Lavaredo, 2999m] in der Morgensonne und ohne Wolkenhäubchen.
Tag6, Bild3, 19.08.2004, 07:01 Uhr
Auch das Massiv des Paternkofel leuchtet in der Morgensonne.
Tag6, Bild4, 19.08.2004, 07:02 Uhr
Blick von der Hütte aus in Richtung Westen. Der M. Cristallo [3221m] hüllt sich schon früh am Morgen in Wolken.
Tag6, Bild5, 19.08.2004, 07:02 Uhr
Wir stehen auf der Terasse der Drei-Zinnen-Hütte. Die Morgensonne strahlt die umliegenden Berge an, es gibt kaum Wolken, man steht und staunt, es ist einfach wunderschön.

Wir gehen unser Bett für die nächste Nacht bestellen, denn wir bleiben noch den heutigen Tag auf der Hütte. Wir zahlen wie gestern insgesamt 66 €. Nebenbei erfahren wir, dass wir umziehen müssen, die Betten sind aber noch belegt. In dieser Hütte werden die Schlafräume jeden Tag aufs Neue von der Tür an beginnend mit Gästen belegt. Wir waren gestern die letzten Gäste, deshalb schliefen wir am Fenster. Heute sind wir die ersten, also müssen wir in die Betten an der Tür. Die ersten und die letzen haben es am Besten, denn an der Tür und am Fenster ist ein wenig mehr Platz für die Sachen und die Kraxen. Diese Tatsache entschädigt uns ein wenig für die Umstände des Umziehens.

Tag6, Bild6, 19.08.2004, 08:58 Uhr
Evi in der Ausführung "Klettersteig - Geherin".
Tag6, Bild7, 19.08.2004, 08:59 Uhr
Auch ich habe die Montur angelegt. Berge, wir kommen!

Man muss bis um zehn das Lager räumen, sonst wird eine weitere Nacht berechnet. Es ist aber erst halb neun, auf unseren neuen Betten liegen zwei Rucksäcke, die Eigentümer sind aber nirgends zu sehen. Nach einer ganzen Weile, wir haben derweilen unseren Tagesrucksack gepackt, stellen wir unseren Kram einfach neben unsere neuen Betten. Wir haben für den Tagesausflug folgendes mit: jeder sein Klettersteigset, den Helm, die LED-Lampen, eine kleine MagLite, eine Flasche Wasser, Brötchen, eine Salami und eine kleine Büchse Leberwurst. Dazu kommen noch die Schildmützen, der Fotoapparat, unsere Dokumente und das Schweizer Messer.

Wie wir gestern Abend beschlossen haben, wollen wir heute an unserem Ruhetag verschiedene kleinere "Touren" rund um die Drei-Zinnen-Hütte machen. Beginnen wollen wir mit dem Klettersteig auf dem Toblinger Knoten. Dort gibt es zwei davon, einen nördlichen und einen östlichen. Der östliche soll leichter sein, aber wir finden natürlich zuerst den nördlichen, da dieser besser ausgeschildert ist. Aber da er steil empor geht und über ausgesetzte Leitern führt, noch dazu schwer sein soll, will Evi diesen Steig lieber nicht gehen. Vor uns steigt eine italienische Familie, wir vermuten mit Führer, die Leitern hinauf. Da wir bisher nur den Klettersteig Häntzschelstiege in der Sächsischen Schweiz gegangen sind, fühlen wir uns für diesen Steig nicht fit genug.

Tag6, Bild8, 19.08.2004, 09:29 Uhr
Als erstes entdecken wir in einer Höhle am Fuß des Toblinger Knotens diesen Einstieg in tiefer gehende Schichten.
Tag6, Bild9, 19.08.2004, 09:29 Uhr
Hier scheint es tiefer in den Berg hineinzugehen, aber alles ist ziemlich verfallen.
Tag6, Bild10, 19.08.2004, 09:39 Uhr
Jetzt sind wir auf der Nordseite des Knotens. Hier beginnt ein Klettersteig.
Tag6, Bild11, 19.08.2004, 09:39 Uhr
Wir gehen hinüber zum Einstieg.
Tag6, Bild12, 19.08.2004, 09:40 Uhr
Soweit sieht das schon professionell aus.
Tag6, Bild13, 19.08.2004, 10:33 Uhr
Der Klettersteig an der Ostseite, hier sind wir ein ganzes Stück hinaufgeklettert. Im Gegensatz zum Nordsteig ist hier das Seil nicht durchgehend.

Also zurück bis zur Südflanke des Toblinger Knotens, den Abzweig zum Ost-Steig suchen, irgendwo muss er ja sein. Und siehe da, es dauert nicht lange, da stehen wir unten am Einstieg. Hier treffen wir einen freundlichen Deutschen, der gerade mit seinen Kameraden den Steig heruntergekommen ist. Er erklärt uns, dass der Oststeig leichter ist, aber nicht durchgehend Stahlseile angebracht sind. Im Nordsteig sind diese durchgehend, aber dafür ist er schwerer und die Leitern sind sehr ausgesetzt. Er meint, für Evi wäre es besser, wenn Sie auf dem "stahlseillosen" Stück zusätzlich angeseilt wäre, mit einem ganz normalen Sicherungsseil. Er empfiehlt uns, nur soweit zu steigen, wie wir uns dass zutrauen und dann eben rumzudrehen.

Also steigen wir bis zum Anfang des ersten Seiles, so sind wir auch schon etwa zehn Meter über dem Ausgangspunkt. Hier beginnt das Stahlseil, ich gehe voran, Evi folgt. Wir steigen die fünfzehn Höhenmeter bis zum Ende des Sicherungsseiles. Ich klinke mich aus und gehe weiter, jetzt ohne Sicherungsseil, dafür ist der Anstieg ab hier auch nicht so schwer. Er verläuft in einer Rinne. Es sind bis zum Beginn des nächsten Seiles vielleicht zehn Höhenmeter, danach klinke ich mich wieder ein. Und wie es der Mann vorhin vorausgesagt hat, Evi traut sich ohne Sicherungsseil nicht weiter zu steigen. Sie sagt, sie will erst einmal auf mich warten. Ich klettere die nächsten fünfzehn Höhenmeter des zweiten Sicherungsseiles hinauf. Als ich an dessen Ende bin, ich kann Evi von hier aus nicht mehr sehen, da ruft sie mir zu, dass sie lieber absteigen will. Ich überlege kurz, aber dann drehe auch ich rum. Und nun zeigt sich, dass der Aufstieg oft leichter ist als der Abstieg, da das Suchen der Tritte beim Abstieg etwas schwieriger ist. Und auch ich bin durchaus von der fehlenden Sicherung zwischen den Seilen beeindruckt, obwohl es machbar ist. Dann stehen wir beide wieder am Fuß des östlichen Toblacher Knotens und sind uns einig, das es erst einmal reicht. Wir nehmen uns vor, eine Kletterwand bei uns in Leipzig zu besuchen und zu üben.

Tag6, Bild14, 19.08.2004, 09:40 Uhr
Der Weg auf den Sextnerstein hinauf.
Tag6, Bild15, 19.08.2004, 10:33 Uhr
Vor der beeindruckenden Kulisse des Paternkofels gibt es ein zweites Frühstück.

Jetzt heißt es erst einmal Mittag machen. Also wandern wir am Toblinger Knoten entlang in Richtung Hütte. Südlich vom Toblinger Knoten verzweigt sich der Weg, einmal zur Hütte und der andere geht hinauf zum Sextnerstein, das ist das Felsmassiv direkt hinter und über der Hütte. Er ist 2539 Meter hoch und liegt damit einhundertvierunddreißig Meter über der Hütte. Wir gehen einen steilen und sandigen Pfad hinauf, bis wir oben sind. Auch hier finden wir eine Stellung aus dem Ersten Weltkrieg. Wir haben einen herrlichen Rundblick, unter uns ist die Hütte, rundherum wimmelt es nur so von Touristen. Im Angesicht der Drei Zinnen gibt es Mittag, es ist sonnig, warm und ein leichter Wind weht. Ich sitze oben ohne in der Sonne, wir verputzen zu den Brötchen die Salami. Dann gesellt sich eine Dohle zu uns, sie möchte ein wenig abhaben. Es dauert nicht lange, dann haben sich Evi und der Rabenvogel angefreundet.

Tag6, Bild16, 19.08.2004, 10:53 Uhr
Aber auch mit dem Toblinger Knoten im Hintergrund macht Evi eine gute Figur.
Tag6, Bild17, 19.08.2004, 10:54 Uhr
Die Drei-Zinnen-Hütte sieht man von hier oben nicht, aber die Wege zu ihr und das Frankfurter Würstel.
Tag6, Bild18, 19.08.2004, 10:54 Uhr
Die Bodenseen [Lago die Piani] östlich der Hütte sehen von oben erst recht wunderschön aus.
Tag6, Bild19, 19.08.2004, 10:55 Uhr
Blick nach Westen über das Val Rinbon.
Großes Bild mit Bergmarkierungen laden.
Tag6, Bild20, 19.08.2004, 11:00 Uhr
Wir haben Besuch zum Essen.
Tag6, Bild21, 19.08.2004, 11:00 Uhr
Wir vertragen uns gut, es schmeckt allen dreien.

Nachdem wir gespeist und die Aussicht lange genug genossen haben, steigen wir wieder hinunter. Wir sind schon in der Nähe der Hütte, da sehe ich die Höhlen am Fuß des Sextnersteines. Sie sind mir gestern schon aufgefallen. Der Weg zu ihnen hinauf verläuft über einen Schotterberg, Evi hat keine Lust, über den Schotter zu klettern. So steige ich allein hinauf. Es sind vier größere Höhlen, alle etwa fünf mal vier Meter groß. Sie wurden im Ersten Weltkrieg in den Fels getrieben. Ich schaue in die untersten drei hinein, sie sind feucht und kalt. In die oberste komme ich nicht hinein, hier hat wohl in der vergangenen Nacht eine Jugendgruppe genächtigt. Jetzt rüsten sie zum Aufbruch und packen. Nachdem ich alles gesehen habe, steige ich wieder hinunter zu Evi und wir wandern zur Hütte.

Tag6, Bild22, 19.08.2004, 11:54 Uhr
Eine der Höhlen am Fuß des Sextnersteins.
Tag6, Bild23, 19.08.2004, 11:56 Uhr
Gleich daneben die nächste Höhle.
Tag6, Bild24, 19.08.2004, 11:57 Uhr
Die Hütte von den Höhlen aus gesehen. Der einsame Punkt auf der Wiese unten in Richtung Kapelle ist Evi, die auf mich wartet.
Tag6, Bild25, 19.08.2004, 11:58 Uhr
Ihr geht es gut in der Sonne.

Dort schaut Evi noch einmal nach unseren Sachen, unsere Betten sind nun frei. Anschließend geht es gleich weiter. Wir wollen in den Tunnel (pater gabria), der zum Paterkofel führt und oben in einen Klettersteig mündet. Wir wandern zum Tunnel hinauf, den Anmarschweg hatten wir ja gestern schon ein Stück weit erkundet. An der Stelle, an der wir gestern rumgedreht haben, beginnt eine scheinbar endlose Treppe mit fünfzig Zentimeter hohen Stufen, die steil nach oben führt. Es ist feucht und dunkel, man benötigt unbedingt eine Taschenlampe. Auch der Tunnel ist ein Relikt aus dem Ersten Weltkrieg. Weite Strecken sind feucht und absolut dunkel, aber ab und zu gibt es Seitengänge, die wie Fenster in der senkrechten Wand, entweder der östlichen oder der westlichen enden.

Tag6, Bild26, 19.08.2004, 12:35 Uhr
Wir sind wieder auf dem Weg zum Tunnel. Die Umgebung der Hütte erinnert ein wenig an einen Ameisenhaufen.
Tag6, Bild27, 19.08.2004, 12:41 Uhr
Ein schöner Blick zum Toblinger Knoten und dem Sextnerstein, die in der Mittagssonne liegen. Auf dem Sextnerstein haben wir vorhin Rast gemacht.
Tag6, Bild28, 19.08.2004, 12:57 Uhr
Heute sind wir ordentlich ausgerüstet mit Licht und Helm und gehen im Tunnel weiter.
Tag6, Bild29, 19.08.2004, 13:03 Uhr
Nach einigen Treppen gibt es auch waagerechte Abschnitte.
Tag6, Bild30, 19.08.2004, 13:04 Uhr
Der Helm ist hier ziemlich wichtig, will man keine Kopfschmerzen davontragen.
Tag6, Bild31, 19.08.2004, 13:09 Uhr
Es ist so dunkel, dass die Autofokusfunktion der Kamera versagt. Trotzdem sieht man die Abstützung der Tunneldecke.
Tag6, Bild32, 19.08.2004, 13:48 Uhr
Ein "Fenster" in Richtung Westen, ein Teil der Drei Zinnen ist zu sehen.
Tag6, Bild33, 19.08.2004, 13:48 Uhr
Ein Fenster in Richtung Osten.
Tag6, Bild34, 19.08.2004, 13:49 Uhr
Der Tunnel endet in einem großen Raum. Hier geht es zum Einstieg des Klettersteiges.
Tag6, Bild35, 19.08.2004, 13:49 Uhr
Durch den Anstieg ist uns warm geworden.

Tag6, Bild36, 19.08.2004, 13:58 Uhr
Der Klettersteig führt dort hinauf zur Gamsscharte [Forc. de Gamoscio, 2712m].

Oben biegt der Gang ab und man gelangt in eine größere luftige Höhle mit einigen "Fenstern" und einem Ausgang. Der hier beginnende Klettersteig geht steil nach oben und verschwindet hinter den Felsen. Erst ein Stück weiter oben taucht er wieder auf und man kann ein Stück seines Verlaufs einsehen. Wir sind jetzt auf 2650 Meter, es würde noch bis auf fast 2800 Meter hinauf gehen. In unserer Wanderbeschreibung steht, dass man etwa dreieinhalb Stunden unterwegs wäre. Wir lassen das lieber, weil wir uns der Sache nicht gewachsen fühlen, uns fehlt einfach die Erfahrung oder ein kundiger Führer. Wir werden Klettersteige gehen, aber nach Vorbereitung und entsprechend unserem Können.

Der Klettersteig geht auch nach unten weiter, dazu steht im Führer nur, dass dieses Stück vierhundert Meter "tief" führt und nicht ganz einfach ist. Wir können nur den Anfang sehen, also haken wir das lieber auch ab. So bleibt uns nur der Tunnel, um zurück zur Hütte zu kommen. Aber wir sind nicht traurig, allein der Aufstieg im Tunnel war schon ein Erlebnis.

Tag6, Bild37, 19.08.2004, 14:59 Uhr
Wir sind auf dem oberen Weg zum Paternsattel und schauen zurück zur Hütte.

Als wir zur Hütte zurückkommen, waren wir knapp zwei Stunden unterwegs. Evi schafft die Klettersteigausrüstung auf das Lager, dann trinken wir erst einmal ein Bier. Es ist immer noch ein sehr schöner und warmer Sommertag. Rund um die Hütte herum ist es wie auf dem Rummel, es gibt jede Menge zu sehen, aber es ist auch kaum auszuhalten. Also beschließen wir, noch einen Spaziergang zu machen.

Es gibt zwei Wege zum Patternsattel, den breiten weiter unten im Tal, und den schmaleren, der auf der Schutthalde am Fuße des Paternkofel entlangführt. Wir wählen hinzu den schmalen. Wir sehen allerlei, zuerst treffen wir auf Reste von winterlichem Eis. Dann kommen wir zu einer Stelle, wo ein Stück über uns ein Denkmal am Fuß des Paterkofelausläufers installiert ist. Über ein kurzes, aber sehr steiles Stück Geröllfeld kann man zu dem Denkmal hinaufklettern, was ich natürlich sofort mache.

Tag6, Bild38, 19.08.2004, 15:06 Uhr
Auch auf diesem Weg herrscht reichlich Verkehr.
Tag6, Bild39, 19.08.2004, 15:12 Uhr
An den Fuß des Paternkofel gelangt die Sonne nicht, deshalb konnte sich hier das Eis halten. Am Paternsattel treffen sich beide Wege.
Tag6, Bild40, 19.08.2004, 15:19 Uhr
Es sind jede Menge Leute unterwegs, einige schauen sich auch das Eis von Nahem an.
Tag6, Bild41, 19.08.2004, 15:25 Uhr
Dieses Mahnmahl weckt mein Interesse.
Tag6, Bild42, 19.08.2004, 15:27 Uhr
Es ist nur ein kurzer, steiler Anstieg nötig...
Tag6, Bild43, 19.08.2004, 15:27 Uhr
...und schon kann ich Fotos machen.
Tag6, Bild44, 19.08.2004, 15:28 Uhr
Diese Gedenktafel wurde bei der Instandsetzung des Kriegssteiges 1973/1974 angebracht.

Nachdem ich zu diesem Denkmal hinaufgestiegen bin, kann ich den Spruch auf der Tafel lesen. Die Namen auf der linken Tafel, das kommt mir noch verständlich vor. Aber die Inschrift auf der rechten Tafel, mit den ein- und ausleitendenen Punkten und in einer Sprache, im ersten Moment denke ich an Italienisch, aber dann erscheint es so seltsam... Ich mache meine Fotos und achte darauf, dass man die Inschrift später auch lesen kann. Dann stehe ich ganz still, wohl eine Minute lang. Denn auch wenn ich es nicht lesen kann, der Sinn des Denkmals erschließt sich von selbst - hier wird all der Toten gedacht, die es rund um den Paternkofel gegeben hat.

An dieser Stelle will ich den zeitlichen Kontext der Urlaubsbeschreibung verlassen und mich weit in die Zukunft begeben, da sich aus dem Bild mit der Inschrift eine eigene Geschichte ergeben hat. Lange nach unserem Urlaub, im Frühjahr 2005, ich bin mitten in den Arbeiten zu diesem Bericht, gibt es bei mir an der Hochschule aus Anlass des sechzigsten Geburtstages meiner Kollegin Heidi eine Feier. Evi und Heidi kennen sich gut, deshalb ist auch Evi eingeladen. Und wie das so ist bei einer schönen Feier, man unterhält sich, spricht über die verschiedensten Themen, kommt von einem ins andere... So ist auch der Urlaub dran, es herrscht einiges Interesse an unserer Wanderung, wir erzählen, dann kommt ein Kollege auf den Vorschlag, Evi könnte doch mal einen Vortrag zu unserer Alpentour halten? Nach ein wenig Überlegen sagt Evi zu. Ein Termin ist schnell gefunden, an der Hochschule gibt es im Frühjahr an einem Sonnabend immer einen Tag der offenen Tür, danach sitzen die Kollegen und die studentischen Hilfsassistenten - die Web-O-Troniker - immer noch ein wenig beisammen. Alle sind sowieso in der Hochschule und haben nach dem offiziellen Teil Zeit, da passt der Vortrag gut.

Da ich so ziemlich jede freie Minute für die Arbeit an dem Bericht brauche, habe ich anfangs ein eher gemischtes Gefühl. Es kostet dann auch einige Arbeit, aus den 1800 Bildern, die wir aus dem Urlaub mit nach Hause gebracht haben, die 600 schönsten für den Vortrag auszuwählen und damit die Geschichte unserer Wanderung zu erzählen. Ich optimiere die Auflösung der Bilder noch für den Beamer, Evi notiert sich Stichpunkte für den Bericht. Dann kommt der Tag, wir sind ein wenig aufgeregt, immerhin ist es unser erster Vortrag. Es sind einige Kollegen da, viele Studentinnen und Studenten, Angehörige, wir hätten gar nicht gedacht, dass soviel Interesse besteht. Evi hält den Vortrag, sie kommt auch zu unserer Rundwanderung um die Drei-Zinnen-Hütte. Da uns das Denkmal beeindruckt hat, ist es natürlich bildlich vertreten, und wir erklären, dass wir die Inschrift bisher nicht entziffern konnten. Der Vortrag wird ein Erfolg und gleich danach kommt Gunar Engel zu mir. Er ist Web-O-Troniker und ein ehemaliger Hilfsassistent, der nach seinem Abschluss in der Industrie arbeitet. Er bittet mich, ihm das Foto zuzusenden, er hat eine italienische Bekannte, der will er es einmal zeigen.

Ich schicke ihm das Foto und bekomme kurze Zeit später eine Mail, die Inschrift wäre kein Italienisch. Aber er und Maria Bornmann, so heißt seine Bekannte, werden versuchen, das Rätsel zu lösen. Ich erfahre später, dass das Foto nach Italien geschickt und dort einigen Leuten gezeigt wurde, bis einer die Sprache erkannte: es handelt sich um Friaulisch! Die Sprache Friaulisch (oder auch Furlanisch) wird von etwa 350.000 Menschen gesprochen. Sie ist im Friaul in Italien, in der Gegend von Udine, an der Grenze zu Slowenien als regionale Behörden- und Schulsprache anerkannt. Teilweise wird sie auch als Literatursprache genutzt, es handelt sich um eine romanische Sprache.

Und noch etwas haben Maria und Gunar herausgefunden, die Inschrift ist Teil eines friaulischen Liedes! Maria hat es für uns übersetzt und da es uns gut gefällt, wollen wir es hier einfügen:

Stelutis Alpinis (Friaulisch) Stelutis Alpinis (Italienisch) Edelweiß (Deutsch)
Se tu vens cà sù ta' cretis
là che lor mi àn soteràt
al è un splaz plen di stelutis
dal miò sanc l'è stat bagnat.
Se tu vieni quassù sulle rocce
Dove loro mi hanno sepolto
C'è uno spiazzo pieno di stelline
Dal mio sangue è stato bagnato.
Wenn du hier hinauf kommst auf den Felsen
wo sie mich begraben haben
ist ein Platz voller Sternchen
getränkt von meinem Blut.
Par segnal une crosute
js dcolpide lì tal cret
fra ches stelis nàs l'arbute,
sot di lor jo duar cuiet.
Come segnale una croce (piccola)
E' scolpita li sulle rocce
Fra quelle stelle nasce l'erbetta
Sotto di loro io dormo tranquillo.
Als Zeichen ein (kleines) Kreuz
eingemeißelt dort auf dem Felsen
zwischen jenen Sternen wächst Gras
unter denen ich ruhig schlafe.
Ciol sù, ciol une stelute:
je 'a ricuarde il nestri ben.
Tu i daras 'ne bussadute,
e po plàtile tal sen.
Prendi pure, prendi una stellina:
Lei ricorda il nostro bene
Le darai un bacio
E poi mettila sul petto.
Nimm nur, nimm nur ein Sternchen:
Es erinnert an unser Wohl/Schatz
Du wirst ihm einen Kuss geben
Und dann leg es auf die Brust.
Quant che a ciase tu sès sole
e di cur tu preis par mè,
il miò spirt atòr ti svole:
jo e la stele sin cun tè.
Quando a casa tu sei sola
E di cuore tu preghi per me
Il mio spirito attorno a te vola:
Io e la stella siamo con te.
Wenn du (weibl!) zu Hause allein bist
und von Herzen für mich betest
mein Geist fliegt um Dich herum:
ich und der Stern sind bei Dir.

Die Inschrift an der linken Tafel lautet:


TEN. COL. S.SM RENZO BULFONE

MAGG. T. SG GIANFRANCO LASTRI

CAP. P.E. PIERMARIA MEDICI

9 LUGLIO 1974

Tag6, Bild45, 19.08.2004, 15:27 Uhr
Kurz vor dem Paternsattel - der Blick zurück am Paterkofel - Massiv entlang.

Vielen Dank an Maria, die das Lied aufgespürt und übersetzt hat und an Gunar, der sie unterstützt hat und das Ganze erst auf den Weg gebracht hat. Ohne die Hilfe der Beiden würden wir den Sinn der Inschrift noch immer nicht kennen. Und das wäre schade, denn das Lied bringt uns auf melancholische Weise die Härte eines Krieges näher. Es bezieht sich ja auf die Gefallenen, die es hier im ersten Weltkrieg gab. Das Mahnmal gefällt uns besser als die manchmal anzutreffenden "Ruhm und Ehre dem Vaterland" - Denkmäler, die den Tod so vieler junger Menschen noch verherrlichen. Da sagt das Lied schon mehr über die Realität des Krieges aus, die jungen Soldaten ruhen in der Erde und für ihre allein zurückgebliebenen Frauen ist nur ein "Sternchen" als Erinnerung geblieben...

Doch nun zurück zum Paternkofel und zu unserem sechsten Urlaubstag. Ich klettere zu Evi auf den Weg hinunter. Das Mahnmahl hat uns auch ohne Kenntnis der Inschrift nachdenklich gemacht, in dieser Gegend ist der erste Weltkrieg einfach immer noch präsent. Wir wandern weiter in Richtung Paternsattel, es geht auf dem schmalen Weg in einem lang gestreckten Bogen am Fuß des Paternkofel entlang. Als wir am Paternsattel ankommen, sind anderthalb Stunden vergangen. Auf der großen Fläche des Paternsattels ist viel los, man kann von hier aus bis zur Lavaredo-Hütte schauen.

Tag6, Bild46, 19.08.2004, 15:48 Uhr
Wir schauen vom Paternsattel aus nach Süden.
Großes Bild mit Bergmarkierungen laden.

 

Tag6, Bild47, 19.08.2004, 15:50 Uhr
Diese zwei Seen heißen Lago di Lavaredo.
Tag6, Bild48, 19.08.2004, 15:50 Uhr
Blick hinunter zur Rif. Lavaredo. Rechts der Hütte geht es weiter zur Rif. Auronzo.
Tag6, Bild49, 19.08.2004, 15:50 Uhr
Die Drei Zinnen vom Osten, vom Paternsattel aus gesehen.

Die Touristen, die von der Drei-Zinnen-Hütte zurück zur Lavaredo-Hütte wandern, kommen in Gruppen den breiteren Pfad entlang, die meisten machen auf dem Sattel eine Rast. Wir wollen wieder zurück zur Drei-Zinnen-Hütte, nun auf dem bequemen, breiten Pfad. Die ganzen italienischen Ausflügler kommen uns also nun entgegen. Da ich aufgrund der Wärme mein T-Shirt ausgezogen habe, schaut der ein oder andere ein wenig komisch. Nach einer Weile habe ich die Blicke satt und ziehe mein T-Shirt wieder an.

Tag6, Bild50, 19.08.2004, 16:34 Uhr
Am Fuß des Toblinger Ridel, auf dem die Drei-Zinnen-Hütte steht, wachsen in geschützter Südlage viele Gräser und Blumen.

Als wir in die Nähe der Drei-Zinnen-Hütte kommen, biegt der Weg nach links ab und beginnt anzusteigen. In der Kurve gibt es noch eine Höhle, wir schauen sie uns an. Gegenüber der Höhle zweigt ein weiterer Weg ab, der ins Tal hinunter führt und auf der anderen Seite des Tales bis zur Langealmhütte ansteigt. Ihn wollen wir morgen früh mit den Kraxen gehen. Dann finden wir an der kleinen südlich gelegenen Steilwand unter der Hütte eine wunderschöne Wiese. Hier haben sich aufgrund der guten Lage einige Alpenpflanzen versammelt.

Tag6, Bild51, 19.08.2004, 16:35 Uhr
Einige Alpen-Vergissmeinnicht ganz nah fotografiert.
Tag6, Bild52, 19.08.2004, 16:44 Uhr
Eine richtige Alpenwiese.

Gegen fünf sind wir wieder zurück an der Hütte, es ist nun ruhiger geworden. Da wir bis zum Abendbrot noch ein wenig Zeit haben, klettern wir, diesmal gemeinsam, bis zu den Höhlen hinauf, an denen ich heute Mittag schon war. Es ist sehr steil und alles Schotter. Wir schauen uns die Höhlen an und stellen uns vor, wie die Soldaten damals einen ganzen Winter hier verbracht haben... Beim Abstieg wird Evi ein wenig unsicher. Aber dass ist kein Problem, sie rutscht einfach ein Stück auf ihrem Allerwertesten den Hang hinab. Dann gehen wir noch ein Stück in Richtung der beiden Seen, wandern aber nicht bis ganz hinunter, da es gleich Abendbrot gibt, es ist schon achtzehn Uhr.

Tag6, Bild53, 19.08.2004, 17:39 Uhr
Abend an der Drei-Zinnen-Hütte.

Also zurück zur Hütte, als erstes gehen wir waschen. Wir haben beide Sonnenbrand, Evi im Gesicht, ich mehr an den Unterarmen, auf dem Rücken und am Hals. Wir ziehen unsere "Ausgeh" - T-Shirts an und dann geht es hinunter in die Gaststube zum Abendbrot. Durch ein Versehen sind wir wohl nicht eingeplant oder wir haben uns heute früh einfach zu zeitig angemeldet, aber es ist kein Problem. Wir werden an einem Tisch mit drei jungen Italienern platziert. Ein richtiges Gespräch entwickelt sich nicht, aber ein wenig unterhalten wir uns doch und einer bietet uns sogar einen Schluck Wein aus seiner Trinkflasche an.

Da wir Halbpension gebucht haben, gibt es wieder ein fürstliches Essen mit dem typischen Drei - Gänge - Menü. Heute gibt es: Vorspeise: Beide Spagetti Bolognese Hauptgericht: Willi Zigeunerspieß mit Röstkartoffeln und Paprika Evi Putenschnitzel mit Reis und Pilzen in Rahmsoße Nachtisch: Beide Palatschinken.

Wir sind rund (Evi musste sogar den Hosenknopf öffnen) und satt, es hat ausgezeichnet geschmeckt. Es ist sowieso erstaunlich, wie die Hüttenbesatzung das macht. Die einzige Versorgungsmöglichkeit hier besteht aus einer Art Kleinlaster, etwa so groß wie ein Golf, aber wie eine Eidechse hinten mit einer kleinen Ladefläche ausgestattet. Vorn befinden sich zwei offene Sitze, ein Dach oder eine Kabine gibt es nicht. In der Hütte wird dieses Gefährt liebevoll Traktor genannt. Es kann geradeso den breiten Weg bis zum Patternsattel passieren und alles was in der Hütte benötigt wird, wird damit herangeschafft.

Es gibt wohl auch noch ein Motorrad, für eilige Kleinbesorgungen. Und einen Hubschrauberlandeplatz, wir dachten ja erst, die Versorgung würde mit einem Hubschrauber erfolgen. Heute früh haben wir eine Angestellte nach dem Hubschrauberlandeplatz gefragt. Sie hat uns erzählt, dass eine Hubschrauberversorgung zwar auch möglich, aber viel zu teuer wäre. Der Hubschrauber kommt nur in diese Gegend, wenn ein Unfall passiert ist. Ein anfliegender Hubschrauber ist also immer ein Zeichen für ein Unglück. So erfahren wir auch, dass der Hubschrauber vor drei Tagen, als wir am Mitteralplsee unser Biwak hatten, hier an der Drei-Zinnen-Hütte eine verletzte Frau abgeholt hatte.

Ich schreibe unsere heutigen Erlebnisse auf, dazu trinken wir noch ein Viertel Roten. Morgen soll es mit den Kraxen weitergehen, deshalb machen wir dann auch bald Nachtruhe.

 5.Tag 
Rund um die Drei-Zinnen-Hütte.
6.Urlaubstag - Donnerstag, 19.08.2004
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