Auf den Seekofel und weiter zur Sennes-Hütte.
15.Urlaubstag - Sonnabend, 28.08.2004

Um sechs Uhr ist die Nacht leider vorbei. Da die Hütte mit der Jugendgruppe voll belegt es, gibt es angesichts der nicht so üppigen Waschgelegenheiten an diesem Morgen ziemlichen Rummel. Man wäscht sich, die Toiletten werden fleißig benutzt und es geht über die uralte knarrende Holztreppe hoch und runter. Evi hat ihren morgendlichen Hustenanfall. Nur mit Menthol-Bonbons, den ganz starken, lässt er sich erfahrungsgemäß stoppen. Dann gehen auch wir waschen, mit etwas Glück erwische ich eine der Standtoiletten, aber dann läuft kein Wasser. Auch kein Problem, deswegen steht ja ein Eimer im Fußwaschbecken. Damit kann man auch spülen.

Dann waschen wir uns, ich wasche mir auch die Haare mit dem kalten Wasser. Um uns herum wuseln die Jugendlichen, dazwischen die Älteren, es ist ein fröhliches Treiben. Anschließend geht es zum Frühstück. Alles ist in Ordnung, wie immer. Wir trinken mehrere Tassen Kaffee und Tee und wir essen in aller Ruhe und ausgiebig. Als wir satt sind, geht Evi bezahlen, sie kauft auch gleich noch drei Flaschen "Natural-Wasser". Das Wasser für die Hütte muss ja in Containern angefahren werden, deshalb gibt es in der Toilette nur "Brauchwasser", das nicht trinkbar ist, so dass wir unsere Wasserflaschen nicht füllen können.

Tag15, Bild01, 28.08.2004, 09:17 Uhr
Heute haben wir uns Großes vorgenommen. Ich will da rauf, aber Evi will nicht mit.

Am Tresen fällt uns noch eine Übersichtskarte des Gebietes für 1,50 € ins Auge, insgesamt bezahlen wir für alles zusammen, also eine Übernachtung, Essen, Trinken - darunter auch die ausgegebenen Grappas, die unbedeutende Summe von 85 €. Aber es tut uns überhaupt nicht Leid darum, der gestrige Abend, aber auch die Abende davor waren wunderschön. Das war es wert und da wir ja in Schmieden Geld gebunkert haben, ist die Summe auch technisch kein Problem. Anschließend, ein wenig haben wir uns noch mit der Wirtin unterhalten, geht es hinauf ins Zimmer, wir wollen die Kraxen packen.

Das nimmt eine knappe Stunde in Anspruch, durch unseren langen Aufenthalt auf der Seekofelhütte ist die gesamte Kraxen - Ordnung wieder ein wenig durcheinander gekommen. Aber so gegen 9.00 Uhr sind wir dann fertig. Wir steigen mit unserem Gepäck nach unten, man muss auf so einer Hütte seinen Schlafplatz ja bis zehn Uhr früh räumen oder noch eine Nacht bezahlen. Unten fragen wir die Wirtin, ob wir die Kraxen noch auf der Hütte lassen können, da wir erst einmal auf den Seekofel steigen wollen. Ja natürlich, wir dürfen, aber Platz ist nur im ersten Stock, also geht es die Treppe wieder hinauf.

Als wir nach draußen kommen, ist der Himmel wolkenleer, die Sonne scheint und es ist schon ziemlich warm. Wir wandern erst einmal die Strecke bis zum Marienstock, das sind an die achtzig Höhenmeter. Dort stehen wir nun und schauen hinauf zum Seekofel. Eine Gruppe von vier Leuten, wohl zwei Mädel und zwei Herren, befinden sind etwa auf der Hälfte des unteren Anstieges. Einer, er hat eine rote Jacke an, sitzt auf dem schmalen und steilen Weg. Er hat sichtlich Probleme, die vier reden miteinander. Dann dreht er um, die anderen gehen weiter bergauf. Wir diskutieren, ob und wie wir hinaufsteigen. Zwischendurch kommen weitere Wanderer an uns vorbei, die alle beginnen, den Seekofel hinaufzusteigen.

Tag15, Bild02, 28.08.2004, 09:32 Uhr
Die riesige Schafherde wandert unterhalb der Roten Wand entlang.

Evi will nicht mitkommen, sie fühlt sich körperlich nicht fit, sie hustet ohne Ende. Die Erkältung beeinflusst das Gleichgewicht, außerdem hat sie im Moment wohl etwas Probleme mit der Höhe. Sie wird also definitiv nicht hinaufsteigen. Nun muss ich mich entscheiden. Gehe ich allein oder nicht?

Ich zögere wohl eine knappe Viertelstunde. Dann, ich weiß eigentlich selber nicht, warum, gehe ich ziemlich plötzlich los. Ich sage Evi, dass ich es versuchen will. Das geht so schnell, dass ich nicht einmal daran denke, Evi eins unserer zwei Handys zu geben. Ich habe die Kameratasche am Gürtel und die Handys sind beide in einer Seitentasche. Evi meint, sie will derweilen unten auf mich warten.

Tag15, Bild3, 28.08.2004, 09:45 Uhr
Ich habe mich entschieden und steige allein hinauf. Evi, der es nicht so gut geht, sitzt derweil am Weg unten in der Sonne.

Ich gehe den Weg hinüber zum Hang, und eigentlich ist mir schlecht. Das allererste Stück ist noch einfach. Ein schmaler, mit Kies übersäter Weg zeiht sich in Serpentinen den Hang hinauf, vorbei an Steinbrocken, über blanke Felsen und rutschige Abschnitte mit viel Kies. Und dann, so nach etwa fünfzehn Minuten, verliere ich das erste Mal den Weg. Er ist nicht markiert, man erkennt ihn nur an den Spuren der Vorgänger. Da er aber teilweise über blanken Stein führt und dieser vorgestern erst durch den Gewittersturm "gereinigt" wurde, kann man den Weg sehr schnell verlieren. So muss ich ein wenig quer steigen, das gibt gut Adrenalin. Ich denke das erste Mal an Umkehr. Aber dann bin ich wieder zurück auf dem Weg, ich gehe nach kurzem Zögern doch weiter. Es wird immer beschwerlicher, denn der schmale, in Serpentinen den Hang hinaufführende Weg wird immer steiler.

Tag15, Bild4, 28.08.2004, 10:09 Uhr
Nun bin ich schon ein ganzes Stück höher, es ist anstrengend. Jetzt kann ich sogar schon den Lago Gran de Foses (rechts hinten) sehen.

Von unten ist beim Hinaufsteigen der Verlauf des Weges schwer zu erkennen. So verliere ich ihn ein weiteres Mal und klettere nach meinem eigenem Ermessen nach oben. Ich komme an eine kleine Scharte und rutsche - sicherheitshalber auf dem Hintern - um die Kehre. Ich bin ein weiteres Mal der Panik nahe. Deshalb setze ich mich zum Ausruhen und zur Selbstberuhigung ein wenig auf einen Fels am Rand des Weges. Da sehe ich, dass ich an meinem rechten Stock die Gummischeibe verloren habe. Die Scheibe ist nicht wichtig, sie soll nur bei morastigem Grund oder Schnee ein tiefes Einstechen des Stockes verhindern, aber sie ist weg.

Suchen, jetzt? Nein. Ruhig Blut, es geht schon. Ich sitze noch einen Moment und beruhige mich. Jetzt kommt ein älterer Herr den Weg entlang auf mich zu. Ich bleibe sitzen, er soll mich überholen, da er sowieso schneller ist als ich. Dann wird es weitergehen. Etwa wieder runter? Nein, aufwärts.

Er aber ist ein Genießer, schaut in die Gegend und bleibt stehen, gleich neben mir. Ich hatte die Kamera schon in der Hand, mache auch ein Foto, aber mit seinen Beinen darauf sieht das komisch aus. Also, das Bild wieder löschen und etwas warten. Dann geht er endlich weiter. Ich mache mein Foto und folge ihm. Da er vor mir wandert, bin auch ich nun schneller, da ich nicht mehr so nach dem Weg suchen muss. Nicht lange und wir kommen an die Ketten.

Tag15, Bild5, 28.08.2004, 10:09 Uhr
Die Sicht ist heute hervorragend, Pelmo und Tofane grüßen herüber. Ich bin nicht mehr weit von der Kletterstelle mit den Ketten entfernt, die Aufregung steigt.
Tag15, Bild6, 28.08.2004, 10:09 Uhr
Da ich hoch genug bin, kann ich in den Ofen hinunterschauen. Rechts ist die Ofenmauer von oben zu sehen.
Tag15, Bild7, 28.08.2004, 10:10 Uhr
Es sind ideale Bedingungen. Beim Aufstieg gelingt mir dieses Panoramabild in Richtung Osten.
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Hier ist die steilste Stelle des Anstieges, zusätzlich fallen die Felsen rechts und links des Weges steil ab. Die Ketten selbst sind an senkrecht in den Fels eingelassenen Winkelstählen befestigt. Da alle Seekofel - Bezwinger seit über hundert Jahren an dieser einen Stelle hier vorbeikommen, sind die Steine rund gewetzt und glänzen wie poliert. Die Stöcke nehme ich in die rechte Hand, die Schlaufen um den Arm, damit ich sie nicht aus Versehen verliere - sie würden wohl den Berg hinunter gleiten. Nun die Kette gefasst und sich hinaufgezogen. Nur nicht lange überlegen, es geht nach dem Motto: "Hauptsache durch!". Etwas Angst ist schon dabei, die "Kletterstrecke" ist etwa hundert Meter lang.

Der ältere Herr klettert vor mir, kurz vor dem Ende der Kette sucht er sich einen sicheren Stand und schaut in die Gegend. Erst warte ich, aber dann klettere ich auf die andere Seite der Kette und steige an ihm vorbei. Und dann wird es zur Belohnung wieder leichter. Der Anstieg wird flacher, der Hang wird schnell wieder breiter. Man merkt nun gar nicht mehr, dass man auf den Berg steigt, das Ganze fühlt sich an wie ein ganz normaler, beliebiger Wanderweg, der moderat nach oben führt.

Tag15, Bild8, 28.08.2004, 10:38 Uhr
Die Ketten habe ich hinter mir, ich habe dabei nicht ans Fotografieren gedacht. Jetzt geht es über den riesigen Hang zum Gipfelkreuz, das man oben schon erkennen kann.
Tag15, Bild9, 28.08.2004, 10:43 Uhr
Der Ausblick ist einfach herrlich.
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Tag15, Bild10, 28.08.2004, 10:43 Uhr
Auch westlich gibt es einiges zu sehen.
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Was aber nicht heißt, dass es nicht anstrengend wäre. Immerhin sind auf dem riesigen, mit Kieseln aller Größen übersäten Hang noch etwa vierhundert Höhenmeter zu überwinden. Damit hat man schon eine Weile zu tun. Dann wird es aber noch flacher, der Weg wird breiter, die Schottersteine sind hier etwas kleiner, sie erinnern an Kies. Und man sieht schon das Gipfelkreuz. Da der Seekofel oben eine etwa zweihundert Meter breite, leicht gewölbte Fläche bildet und erst dann rechts und links die steilen Wände folgen, sieht man diese von oben nicht. Damit hat man auch kein Gefühl von Gefahr wie etwa an einem Abhang.

Ich habe es geschafft, ich bin am Gipfelkreuz. Es ist sehr groß, der untere Rand ist als Sitz ausgeführt. Dort haben sich der junge Mann und die zwei Mädels niedergelassen, der zweite Mann war ja umgekehrt. Im rechten Winkel zum Kreuz, etwa zwei Meter davon entfernt, gibt es einen anderthalb Meter hohen Felsbuckel. Er ist zwei Meter breit und etwa zehn Meter lang. Auf der anderen Seite des Buckels, am Abgrund zum Pragser Wildsee hin, gibt es nur noch einen Rand von vielleicht zwei Metern. Danach geht es locker eintausend Meter gerade hinunter, das ist die steile, senkrechte Nordwand, die wir gestern vom Wildsee aus gesehen haben.

Ich versuche, über die Steinbarriere hinunter zum Pragser Wildsee zu schauen, da trifft mich die Höhenangst wie eine Keule. Wenn ich jemals selbstständig, auf eigenen Füßen hier heruntersteigen will, dann muss ich das lassen! Ich mache also lieber noch ein Panorama - Bild, rundherum ist keine Wolke zu sehen und man hat eine schöne Fernsicht.

Achtung! Sehr großes Panoramabild mit langer Ladezeit!
Tag15, Bild11, 28.08.2004, 10:49 Uhr
Das Gipfel-Panorama-Bild. Die Fernsicht ist sehr gut.
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Tag15, Bild12, 28.08.2004, 10:50 Uhr
Rast unter dem Gipfelkreuz.
Tag15, Bild13, 28.08.2004, 10:50 Uhr
Blick hinunter zur Sennesalm [Munt de Sennes]. Hier steht die Hütte Ucia Munt Sennes [2176m].
Tag15, Bild14, 28.08.2004, 10:50 Uhr
Auch den Lago Gran de Foses kann man von hier oben sehen.
Tag15, Bild15, 28.08.2004, 10:51 Uhr
Der Blick nach Norden, hinunter nach Prags [Braies]. In der Mitte ist der Ort St. Veit zu sehen. Wenn man der Straße nach rechts folgt, kommt man nach Schmieden.
Tag15, Bild16, 28.08.2004, 10:51 Uhr
Immer noch in Richtung Norden, Zoom, was die Kamera hergibt, aber ich hab ihn drauf, den Großglockner [3798m], Österreichs höchsten Berg.
Tag15, Bild17, 28.08.2004, 10:51 Uhr
Nördlich liegt auch der Großvenediger [3666m], man kann ihn gut erkennen.
Tag15, Bild18, 28.08.2004, 10:52 Uhr
Nun wieder ein südlicher Zoom-Blick, nach Cortina d' Ampezzo. Die weißen Flächen im Vordergrund sind rechts der alte Flugplatz und links das Olympia-Zentrum.
Tag15, Bild19, 28.08.2004, 10:53 Uhr
Auch auf dem Seekofel online - ein Live-Bericht für den Freund.
Tag15, Bild20, 28.08.2004, 10:53 Uhr
Von hier sieht man den Lago Gran de Foses, die Seekofelhütte aber nicht.

Ich bin nun schon eine viertel Stunde hier oben. Nachdem ich mich doch noch über den Felsbuckel gelehnt habe und mit der Kamera in den ausgestreckten Armen mutig ein Foto hinunter zum Pragser Wildsee geschossen habe, breche ich auf, es ist elf Uhr. Erst einmal geht es sanft abwärts, und es ist einfach. Ich beruhige mich ständig selbst, es ist mir ja klar, irgendwann kommt die Passage mit den Ketten. Zwar geht es erst mal moderat hinunter, aber es wird zunehmend steiler. Ich steige vorsichtig, langsam und sehr konzentriert abwärts, dabei immer mit meiner Selbstberuhigung beschäftigt. Ich sehe von weitem, dass eine absteigende Gruppe warten muss, weil eine ganze Familie gerade an den Ketten empor klettert.

Tag15, Bild21, 28.08.2004, 10:55 Uhr
Weiter vor ging nicht, aber ich habe ein Foto vom Pragser Wildsee! Von oben! Er liegt rund eintausenddreihundert Meter unter mir.
Tag15, Bild22, 28.08.2004, 11:03 Uhr
Nun bin ich wieder auf dem Rückweg, da oben war es beeindruckend. Aber das Schwerste liegt noch vor mir, die Stelle mit den Ketten...

Als ich dann an der Kette angelangt bin, ist glücklicherweise niemand zu sehen. Ich kann also zügig die Stöcke in die rechte Hand nehmen und mit dem Absteigen beginnen. Die runden und glatten Steine, in Sachsen würden wir sagen, die "rund gelatschten Steine", sind ein Problem, da ich an manchen Stellen ganz schön rutsche. Also heißt es, runter mit dem Hintern und alle Reibefläche eingesetzt, die man so hat.

Es ist an sich weder schwierig noch eigentlich gefährlich, solange man alles richtig macht. Aber die Höhenangst ist einfach da, ich rede mit mir selbst: "Willi, du packst das, es geht super, gleich wird's besser, jeder Meter nach unten ist einer weiter unten". Und erstaunlicherweise hilft mir das.

Ich klettere also, mit mir selbst redend, unter Anspannung aller Kräfte, hochkonzentriert die Ketten entlang. Manchmal stören die Stöcke ein wenig, aber ich beruhige mich selbst und ich habe mich glücklicherweise im Griff. Ich bin mir sicher, dass ich technisch den Abstieg schaffe, ich weiß, dass ich es kann. Aber ich habe Angst, dass ein Anfall von Höhenangst mich lähmt, festnagelt auf dem Weg. Dann würde wohl nur noch ein Hubschrauber helfen. Deshalb will ich nicht ausprobieren, wie belastbar ich in dieser Beziehung bin.

Und dann kommt der Punkt, vor dem ich schon vorher den meisten Respekt hatte. Die Kette ist zu Ende, dass Sicherheitsgefühl, dass sie vermittelt hat, fällt also weg. Hier beginnt nun der Pfad ohne Kette. Und Mensch Willi muss sich auf die Hinterbeine erheben, seine Stöcke auf die Hände verteilen und abwärts stolpern. Gerade noch hatte man die vermeintlich Sicherheit spendende Kette in der Hand. Zwei Meter weiter unten ist der Hang genauso steil, rechts und links geht es genauso steil fünfhundert Meter hinab, (minus knapp zwei Meter, weil man saß), aber man hat keine Kette mehr. Das kostet schon ein wenig Überwindung.

Aber, nach einem ganz kurzen Zögern geht es dann doch erstaunlich gut. Der Weg ist hier glücklicherweise noch eindeutig sichtbar. Nur eine Sache macht mir zu schaffen, die Steine sind, insbesondere in den Kehren der Serpentinen, wirklich rund gelaufen und glatt. So setze ich ab und zu die Hinterteilbremse ein. Das ist sicher nicht allzu elegant, aber es hilft, sonst hätte ich das hier ja vielleicht nicht schreiben können. Mittendrin schießt mir kurioserweise der Gedanke an den beim Aufstieg verlorenen Gummiteller durch den Kopf, aber wenn er nicht direkt offensichtlich auf dem Weg vor mir liegt, dann schenke ich das Teil dem Berg, suchen werde ich nicht.

Nun habe ich nur noch fünfundvierzig Minuten Kampf gegen mich selbst. Ich merke, wie meine Knie zunehmend schmerzen, die abgerundeten, glatten Steine kosten viel Kraft, die Kehren ebenso. Außerdem bin ich wahrscheinlich zu verkrampft. Jeder Schritt besteht aus vier Phasen: linker Stock - sicheren Standpunkt suchen, rechter Stock, - sicheren Standpunkt suchen, linkes Bein - sicheren Tritt suchen, rechtes Bein - sicheren Tritt suchen. Dazwischen, wenn es gerade mal weniger schwierig ist, beruhige ich mich selbst "es geht, ich hab's im Griff, Höhenangst ist gar nicht notwendig".

So ist es auch, hier würde man nur noch ein Stück abwärts rutschen, die wirklich steilen Stellen sind oben an der Kette... Aber nach über zwei Stunden des Hoch- und Runtersteigens, mit zunehmendem Durst und mit dem Nachlassen der Konzentration, den Schmerzen in den Knien ist die Gefahr groß, das ein abrutschender Stock, eine rutschige Stelle Panik auslösen. Also immer schön "piano", genau schauen und konzentrieren. Es ist harte Arbeit, aber dann bin ich endlich unten im Auslauf.

Ich will mich nun feiern lassen, aber meine Fangruppe ist nicht da! Wo ist Evi, sie wollte doch hier unten auf mich warten? Später erzählt sie mir, dass sie auf Toilette musste und deshalb zur Hütte ging. Sie fand dann vor der Hütte einen bequemen Stuhl in der Sonne, schön windgeschützt - so ist sie halt einfach bei der Hütte geblieben.

Ich dagegen breche mir auf den letzten fünfzig Höhenmetern bis hinunter zur Seekofelhütte fast die Beine, da ich nur nach Evi schaue und kaum auf den Weg achte. Dann sehe ich sie, sie sitzt an der Hütte und wartet auf mich. Wir gehen hinein, es gibt erst einmal Rührei für Willi und Rührei mit Speck für Evi. Mittag - ich hab's dringend nötig. Ich trinke noch ein wunderbar schmeckendes Bier und anschließend noch einen halben Liter Wasser. Ich merke jetzt erst, wie anstrengend der Auf- und Abstieg zum Seekofel für mich war.

Tag15, Bild23, 28.08.2004, 12:06 Uhr
Ich habe es geschafft, Ketten und Serpentinen, aber wo ist Evi, die saß doch vorhin hier?
Tag15, Bild24, 28.08.2004, 11:03 Uhr
Bei dem herrlichen Wetter herrscht reges Treiben auf der Freifläche der Seekofelhütte. Dorthin hat sich auch Evi zurückgezogen.

Dann erzähle ich Evi von meinen Erfahrungen in den letzten Stunden, sie schaut sich die Bilder auf der Kamera an. Als ich mich ein wenig erholt habe, holen wir unsere Kraxen im ersten Stock und verabschieden uns von der Hüttenbesatzung. Wir wandern die Straße entlang bis kurz vor die Biegung, am südlichen Fuß des Seekofel - Massivs. Dort werden erst einmal die Hosenbeine gekappt, es ist mittlerweile ziemlich warm und sonnig. Immer wieder jedoch geht mein Blick hoch zum Seekofel "Da oben warst du vorhin...". Wir biegen auf den Weg 6 ab, der uns quer über die Hochebene zur Senneshütte führt. Auf einer Serviette lesen wir später den vollständigen Namen der Hütte: "Ucia de Rifugio Sennes Hütte".

Tag15, Bild25, 28.08.2004, 12:52 Uhr
Abschied von der Seekofelhütte. Es war wunderschön, vor allem der gestrige Abend.
Tag15, Bild26, 28.08.2004, 12:52 Uhr
Auch mir hat es gefallen, den Seekofel - Aufstieg werde ich wohl nicht vergessen.
Tag15, Bild27, 28.08.2004, 12:53 Uhr
Jetzt sind ganze Gruppen unterwegs zum Gipfel, die drei Leute erreichen gerade die Ketten.
Tag15, Bild28, 28.08.2004, 13:22 Uhr
Wir sind von der Straße auf den Weg 6 abgebogen.
Tag15, Bild29, 28.08.2004, 13:22 Uhr
Zum Abschied noch einmal ein Bild vom Seekofel in seiner ganzen Schönheit.
Tag15, Bild30, 28.08.2004, 13:23 Uhr
Ein Hubschrauber über dem Ofen.

Als wir schon weit entfernt sind vom Seekofel, hören wir plötzlich Motorenlärm aus dieser Richtung. Es ist ein Hubschrauber, der über den "Ofen" fliegt. Das bedeutet meist nichts Gutes, wie wir ja mittlerweile wissen, weil Hubschrauber vorwiegend bei Unfällen eingesetzt werden. Dieser hier landet aber nicht, er fliegt weiter, vielleicht war es ja auch nur ein Kontrollflug.

Wir kommen zu einer Wegkreuzung. Der Weg 6 trifft hier auf die unbefestigte Straße, welche die beiden Sennes-Hütten verbindet. Schon auf dem Weg hierher haben wir einen Wegweiser zu einer weiteren, rechts von uns liegenden "Sennes" - Hütte gesehen. Es handelt sich um die mit dem Barackenkomplex, die ich vorhin schon vom Seekofel aus gesehen habe. Aber da es zu ihr bergauf geht und wir morgen sowieso in Richtung Fanes wandern wollen, gehen wir lieber zu der übrigens auch privaten Sennes-Hütte bergabwärts.

Tag15, Bild31, 28.08.2004, 13:30 Uhr
Evi vor dem imposanten Neuner [Sasso delle Nove, 2968m].
Tag15, Bild32, 28.08.2004, 13:37 Uhr
Ein Stück südlicher ist der Piz Boe [3152m, Sella-Gruppe] zu sehen.
Tag15, Bild33, 28.08.2004, 14:01 Uhr
Dort unten liegt unser Ziel, die Hütte Ucia de Senes [2116m].
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Die Hütte ist ein mehrstöckiger Bau, umgeben von einigen Stallungen und Schuppen. Als erstes fallen uns die frei herumlaufenden Schweine auf, die eine eigentümliche Farbe haben. Da trocknes Wetter ist, landen wir erst einmal auf dem Freisitz. Während wir gewandert sind, es ist mittlerweile nach drei Uhr, sind zunehmend Wolken aufgezogen. So ist die Sonne nun bedeckt und es wird kühler. Wir ziehen die Karte zu Rate, gehen wir heute noch weiter oder versuchen wir hier zu bleiben? Evi fragt in der Hütte nach Quartier, zwei Betten hätten sie noch. Auch eine Dusche gibt es - entschieden, nach den Tagen des kalten Wassers auf der Seekofelhütte ist eine Dusche ein gewichtiges Argument.

Tag15, Bild34, 28.08.2004, 14:01 Uhr
Evi schaut erwartungsvoll zur Hütte hinunter.
Tag15, Bild35, 28.08.2004, 14:25 Uhr
Gegenüber der Hütte steht ein Stallgebäude und es ist bewohnt.
Tag15, Bild36, 28.08.2004, 14:38 Uhr
Die Vierbeiner sind beschäftigt.
Tag15, Bild37, 28.08.2004, 14:39 Uhr
Es sind wohl glückliche Schweine.

Wir schaffen die Kraxen auf unser Zimmer im 3.Stock, wir wohnen direkt unterm Dach. Die Hütte ist noch sehr neu und steht damit im krassen Gegensatz zur Seekofelhütte, von der wir kommen. Alles ist modern eingerichtet, der Fußboden besteht aus Laminat, die Wände sind getäfelt, alles ist mit Holz verkleidet, hell und freundlich. Auch die Duschzelle ist sehr modern. Wir packen aus und dann wird erst einmal ausgiebig geduscht. Anschließend ziehen wir uns um und gegen 17 Uhr gehen wir hinunter in die Gaststätte. Ich schreibe meinen Bericht, hinzu kommt heute noch ein zusätzlicher Text - eine Reflektion auf meine Bergtour. Evi studiert inzwischen die Landkarte und plant die Route für die nächsten Tage.

Tag15, Bild38, 28.08.2004, 15:22 Uhr
Wir haben ein Zimmer und eine Dusche gibt es auch!
Tag15, Bild39, 28.08.2004, 15:23 Uhr
Auch dieses Zimmer zählt als Matratzenlager. Man hat Platz, alles ist neu und durch das Holz sehr warm.
Tag15, Bild40, 28.08.2004, 15:23 Uhr
Im unteren Doppelstockbett wird ein Opa schlafen.

Gegen halb sieben gibt es Abendbrot, auch heute sehr fürstlich, hier unser Speiseplan:

Evi Willi
Knödelsuppe  
Omelett Bergsteiger
(Käse, Schinken, Tomate)
Pilz Omelett
Gemischter Salat Gemischter Salat

Wir essen, es schmeckt sehr gut. Durch das Fenster der Gaststätte sehen wir, dass die untergehende Sonne die Wolken rosa färbt. So ein Schauspiel will Evi sich nicht entgehen lassen, sie macht ein paar Fotos von diesem besonders schönen Sonnenuntergang, während ich den Tagesbericht fertig stelle.

Dabei fotografiert sie auch eine für diese Gegend ungewöhnlich gerade Fläche. Wie wir erst später herausfinden, ist diese lang gestreckte Wiese, die parallel zum Weg verläuft, auch ein Überbleibsel vom 1. Weltkrieg. Die Wiese wurde damals angelegt und diente als Landeplatz für Militär- und Versorgungsflugzeuge.

Tag15, Bild41, 28.08.2004, 19:40 Uhr
Während ich schreibe, jagt Evi wieder einmal das Alpenglühen mit dem Fotoapparat. Diesmal geht die Farbe eher in Richtung Lila.
Tag15, Bild42, 28.08.2004, 19:41 Uhr
Ein wunderschöner Anblick.
Tag15, Bild43, 28.08.2004, 19:46 Uhr
Nun kann die Dunkelheit kommen.

Dann sitzen wir noch eine ganze Weile, Evi trinkt noch einen Glühwein, ich ein Bier. Anschließend gehen wir auf unser Zimmer, der Opa, der das untere Doppelstockbett belegt, ist noch nicht da. Der Raum zählt ja als Bettenlager und da ist eine gemischte Belegung normal.

Kaum liegen wir im Bett, da kriegen wir beide ziemlich extreme Hustenanfälle. Es ist ganz schlimm, bis wir die großen, extra scharfen Mentholbonbons herausholen. Leider haben wir nicht mehr viele, sie helfen, der Husten beruhigt sich langsam. Kurze Zeit später kommt der Opa. Er redet ständig vor sich hin, packt seinen Rucksack um und geht dann ins Bett. Wir geben uns Mühe, nicht mehr zu husten und bald darauf sind wir eingeschlafen.

 14.Tag 
Auf den Seekofel und weiter zur Sennes-Hütte.
15. Urlaubstag - Sonnabend, 28.08.2004
 16.Tag