Auf dem Gletscher Jostedalsbreen
7. Urlaubstag - Freitag 22.08.2003

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Wenn man in Norwegen herumfährt, ist es immer gut, einen vollen Tank zu haben.
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Die Überfahrt von Fodnes nach Manheller kostet rund 14,5 €.

Unsere Handy-Wecker klingeln heute beide bereits halb sieben, aber erst um sieben können wir uns entschließen, aufzustehen und duschen zu gehen. Anschließend genießen wir unser gemeinsames Frühstück. Draußen regnet es permanent. Wir laden noch einige Sachen vom Auto ins Zelt, dann geht es los.

Erst einmal nach Lærdal zum Tanken. Wir wissen nicht genau, wie viele Kilometer wir heute fahren müssen. An der Tankstelle erwartet uns eine Überraschung, unser Zeltplatz-Chef ist hier Tankwart! Wir hatten uns schon gewundert, das er in der Woche immer nur abends auf dem Zeltplatz war.

Nach dem Tanken geht es durch den Tunnel zur Fähre nach Fodnes. Wir warten etwa zehn Minuten, bis die Fähre eintrifft, dann geht es für 116 NOK auf die andere Seite des Fjords nach Manheller. Während der Überfahrt ist Zeit für ein paar Fotos. Die Wolken hängen heute wirklich beeindruckend tief. Aber es ist auch noch früh am Morgen, gegen zehn Uhr wird es meist besser.

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Das Abenteuer beginnt mit der Fähre Fodnes - Manheller. Wir sind gerade ausgelaufen, die andere Fähre gegenüber auch.
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Die Fähre ist gut gefüllt, Evi und Eddi bleiben lieber im Auto.
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Jetzt sind wir in der Mitte, die Fähren treffen sich, so wie wir's schon vom Zeltplatz aus gesehen haben.
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Das Wasser ist glatt, es ist kaum Wind, aber "Schnüffels" sind nicht zu sehen.

In Manheller geht es gleich wieder in einen Tunnel. Dann fahren wir auf der E5 an Kaupanger vorbei. Die Straße am Rande des Fjords entlang ist komfortabel breit, wir kommen zügig voran. In Sogndalsfjøra wechseln wir auf die 55. Jetzt wird es bereits enger und bergiger. Wasserfälle stürzen von den umliegenden Bergen herab, sie sind durch den vielen Regen sehr wasserreich. Zuerst geht es am Barsnesfjorden entlang, dann verläuft die Straße am Ufer des separaten Binnensees Hafslovatnet. Das letzte Stück ab Gaupne fahren wir dann auf der 604 - eine richtige Bergstraße ähnlich dem Auerlandsvegen, wenn auch nicht ganz so extrem. Sie verläuft parallel zum gut gefüllten Bergfluss Jostedalselva.

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Wir sind auf der Straße 55 und haben Aussicht auf das Ende des Gaupnefjorden, links befindet sich Gaupne. Die Wolken sind beeindruckend.
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Die gegenüberliegende Seite des Gaupnefjorden. Kein Wind, aber Wolken.
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Die 604 verläuft parallel zum Fluss Jostedalselva, der durch den Gletscher gespeist wird.
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Ein Wasserfall an der 604, er ist gut gefüllt durch die vielen Regenfälle der letzten Zeit.

Das Panorama ist beeindruckend, insbesondere auch die Gegensätze auf der Fahrt vom Fjord bis zum Gletscher. Nachdem wir eine ganze Weile gefahren sind und einige Tunnel passiert haben, können wir auf einmal den Ausleger des Jostedalsbreen sehen, er heißt Nigardsbreen.

Über ihm ist eine Lücke in den Wolken und er glänzt in der Sonne silbern, der Anblick ist beinahe magisch. Es ist elf Uhr, von Zeltplatz bis hierher, also für die Überfahrt und die sechzig Kilometer Bergstraßen haben wir mehr als zwei Stunden gebraucht.

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Der erste Blick auf den Nigardsbreen, es ist beeindruckend, auf dieses Eis wollen wir klettern.
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Unsere Tickets für die lange Tour - zusammen rund 100 € wert.
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Für 6,50 € markieren diese Aufkleber den Gast im Breheimsenteret als zum Rundgang berechtigt. Wir haben sie versehentlich nicht angelegt, es ging auch so.

Wir biegen von der 604 zum Parkplatz des "Breheimsenteret" ab, einem eigentümlichem Gebäude in der Form einer mittelalterlichen Sturmhaube. An der Kasse wird uns bestätigt, was Evi schon den Prospekten entnommen hatte - es gibt eine kürzere Tour, so drei Stunden und eine längere mit fünf Stunden. Wir entscheiden uns für die längere, wenn wir schon einmal hier sind. Dafür zahlen wir pro Person 375 NOK - das sind immerhin knapp 47 €. In der Urlaubskasse klafft somit ein Loch von 94 €.

Da es erst um zwölf auf dem Parkplatz am Gletschersee losgeht, besichtigen wir noch die Gletscherausstellung, dies kostet 50 NOK pro Person. Das Loch in der Kasse vergrößert sich damit auf 106,5 €. Interessant ist die Ausstellung aber doch, sie zeigt die Entwicklung des Gletschers ausgehend von der Urzeit über die Eiszeit bis in unsere Tage. Viele interessante Zusammenhänge werden aufgezeigt, so erfahren wir beispielsweise, dass der Fluss, an dem wir die ganze Zeit entlanggefahren sind, im wesentlichen durch den Gletscher gespeist wird.

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Zum Gletschersee kommt man nur nach Entrichtung der Maut.

Auch der Rückzug der Gletscherzunge Nigardsbreen in den letzten zweihundert Jahren ist anschaulich dargestellt. So war der Gletscherrand vor zweihundert Jahren etwa an der Stelle, wo heute das "Breheimsenteret" steht. Seitdem hat er sich kontinuierlich bis auf die heutige Position zurückgezogen, dabei entstand auch der vorgelagerte Gletschersee. Die Berghänge auf beiden Seiten wurden durch das Eis geschliffen, wie man auch heute noch erkennen kann. Aber nun müssen wir los, denn bis um zwölf müssen wir auf dem oberen Parkplatz sein.

An der Zufahrt befindet sich eine Mautstelle, der Weg zur Gletscherzunge ist eine Privatstraße und die Passage kostet 25 NOK. Klingeling - jetzt sind wir bei rund 110 €. Wir fahren die enge Straße hinauf bis zum See. Am Treffpunkt muss Willi erst mal pinkeln, auch das kostet immerhin 1 NOK (12,5 Cent). Na ja, das rechne ich jetzt lieber nicht mehr zu den Tageskosten hinzu.

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Wir sind auf dem Parkplatz am Gletschersee. Im Wasser vor uns treiben Eisstücke. Bis hier herunter reicht die Gletscherzunge Brefront.

Vor dem "Eispickel-Magazin" treffen wir auf unsere Führerinnen. Das eine junge Mädel verteilt an jeden einen Eispickel und passende Steigeisen. Da Evi schon länger den Wunsch hat, einen Gletscher zu besteigen, sind wir bestens ausgerüstet. Man sollte als Voraussetzung für eine Gletschertour auf zwei wichtige Punkte achten - gutes Schuhwerk und winterfeste Bekleidung. So haben wir zum Jahreswechsel in einer Sonderaktion jeder ein Paar "Anapura" preiswert erstanden, das sind schwere, steigeisenfeste Bergschuhe von Hanwag. Das Mädel findet Evis Schuhe toll. Die anderen aus unserer Seilschaft haben normale Bergwanderschuhe an, das geht natürlich auch. Dann folgt eine Einweisung in die Handhabung der Eispickel, damit wir ohne Verletzungen den Gletscherrand erreichen.

Wir unterschreiben alle noch eine Erklärung, in der steht, dass uns das Risiko einer Gletscherbegehung bekannt ist und dass wir den Veranstalter von der Haftung freisprechen, ausgenommen sind wohl grobe Sicherheits-Verstöße seinerseits. Dann begeben wir uns zum Anlegesteg des Gletschersee-Bootes. Es ist kühl, zwischendurch nieselt es immer mal etwas. Das Wetter spielt aber keine Rolle, wir sind viel zu gespannt auf das, was uns erwartet. Wie ist das Gefühl, wenn rundherum alles aus Eis ist? Gleich werden wir es wissen.

Doch erst besteigen wir das kleine Boot. Es ist eine Jolle mit einem Außenborder und kann pro Fahrt etwa 20 Leute zum Gletscherrand bringen. Man kann sich auch separat, ohne gebuchte Tour über den See fahren lassen, aber dann muss man natürlich bezahlen. Bei uns ist die Überfahrt im Preis mit drin. Der Bootsführer sitzt auf einem kleinen Sitz an einem Steuerstand auf der Steuerbord-Seite und hat zwei Hebel. Er fährt zügig über den See, obwohl es manchmal ziemlich poltert, wenn die überall herumschwimmenden Eisstücke mit uns zusammenstoßen. Ein Schild im Boot weist stolz darauf hin, dass der Fährservice durch eine eigenständige Firma erbracht wird.

Wir legen nicht direkt am Gletscherrand Brefront an, sondern müssen noch fünfzehn Minuten über einen steinigen und durch die Nässe äußerst glatten Weg bis zu zwei Tonnen am Rand des Eises wandern. In den Tonnen befinden sich Seile und Brustgurte. Wir kleiden uns ein, befestigen zuerst die Steigeisen an unseren Schuhen. Jeder von uns erhält einen Gurt, den wir unter Anleitung anlegen und die Mädels knoten uns alle in das Seil ein. Wir haben das Gefühl, das die beiden sehr auf Sicherheit bedacht sind, jeder Knoten, der Sitz des Gurtes und der Steigeisen wird noch einmal kontrolliert. Ich bin an dritter Stelle, Evi ist hinter mir. Unsere Führerin nimmt den Anfang des Seiles, knotet sich selbst ein und wir stellen uns im Kreis auf. Wir erhalten letzte Instruktionen, wie die Schritt-Technik aussieht und wie das Seil gehandhabt werden muss.

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Wir sind am Gletscher, zwei Mädels betreuen uns, Inga (blaue Jacke) ist unsere Führerin, die andere managt die Materialausgabe.
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Aus der Nähe wirkt er gefährlich, der Rand des Gletschers und er ist es auch.
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Wir können nicht widerstehen, ein Gletscherrandfoto von der Brefront muss sein.
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Evi mit Gletscherausrüstung - das Anseilen hat Spaß gemacht.
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Nach dem Anlegen der Steigeisen und dem Anseilen bestimmt das Seil die maximale Entfernung zwischen uns.
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Seilposition 3 und 4 sind bereit für den Gletscher.

Zu unserer "Seilschaft" gehören neben uns ein australisches, ein englisches, ein niederländisches und ein weiteres deutsches Paar. Hinzu kommt noch ein einzelner Niederländer. Wir einigen uns auf die Verständigung mittels Englisch.

Unsere Führerin heißt Inga, ist in Finnland geboren und in Schweden aufgewachsen. Sie ist wohl fünfundzwanzig, seit drei Jahren verbringt sie jeden Sommer auf diesem Gletscher. Sie meint, dies sei wörtlich zu nehmen, sie kommt den ganzen Sommer nicht aus dem Tal heraus, ist aber täglich viele Stunden auf dem Gletscher. Sie hat eine Spezialausbildung als Führerin absolviert und hat umfangreiches Wissen zu Gletschern, auch in den Alpen war sie schon. Im Winter studiert oder arbeitet sie wohl in England.

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Es geht los, die ersten Schritte auf dem Eis, diesem Foto kann man die Aufregung anmerken.
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Das Laufen auf Eis ist echt gewöhnungsbedürftig.

Dann geht es endlich los. Zuerst marschieren wir noch ein Stück über Fels, da läuft es sich natürlich komisch. Dann kommt das Eis. Es knirscht und nur durch die Sporen an den Steigeisen hat man Halt. Man muss aber ziemlich fest auftreten und merkt schnell, das Laufen ist ungewohnt und schwer. Vor uns liegt eine unübersichtliche Eisfläche mit unzähligen Wellen, Graten, Spalten und Einschnitten. Es geht ziemlich steil bergan, teilweise müssen wir richtig klettern.

Nach einer Weile hat man sich einigermaßen an das Laufgefühl gewöhnt. Als eine zusätzliche Schwierigkeit erweist sich am Anfang das Problem, den Abstand zum Vordermann so einzuhalten, so dass man ihm nicht zu sehr "auf die Pelle" rückt, ihn aber auch nicht rückwärts umreißt. Wir verstehen nun, was Inga mit "Teamwork" meinte. Sie hat ein langsames Tempo angeschlagen und hält ab und zu an, um uns etwas zu zeigen oder um uns Hinweise zu geben.

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Rast am Seil - wir sind schon eine ganze Weile unterwegs, da schmeckt das belegte Brötchen aus dem Breheimsenteret.
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Der Gletscher hat das Tal früher ausgefüllt und reichte bis zum Breheimsenteret hinunter. Der See entstand erst in den letzten einhundert Jahren.

Nach einiger Zeit führt sie uns an einer Spalte vorbei, die dem Namen "Blaueis" alle Ehre macht. Wir erfahren, dass die Farbe des Eises durch den Druck bestimmt wird, dem es ausgesetzt war. Je intensiver die blaue Farbe, umso höher war der Druck.

Wir wandern gleichmäßig bergan, aber nicht geradlinig. Unser Weg schlängelt sich nach einem Plan durch das Eis, den nur Inga kennt. Mal wandern wir auf einem Eisbuckel ein Stück, dann wechseln wir in eine Spalte, so dass um uns herum Eiswände sind. Dann folgen wieder Serpentinen, die um Spalten herumführen, in denen hörbar das Wasser nach unten stürzt.

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Die Formenvielfalt des Eises ist immer wieder beeindruckend.
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Wir sind schon ziemlich hoch, der Gletscherrand ist bereits zu sehen.
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Das Wasser hat sich tief ins Eis gegraben und einen Hohlraum geschaffen.
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Je intensiver die Blaufärbung, umso höherem Druck war das Eis ausgesetzt. Auf unseren Wunsch wandert Inga mit uns zur Spalte.

Bei einer kleinen Rast erklärt uns Inga, dass der Gletscher lebt und sich ständig verändert. Durch den Schnee im Winter, der oben liegen bleibt, wächst der Gletscher. Mit zunehmender Dicke erhöht sich der Druck und aus Schneekristallen werden dichte Eiskristalle, bis hin zum Blaueis, das unter sehr hohem Druck entsteht. Durch diesen hohen Druck wird an der Unterseite des Gletschers das Eis langsam nach außen transportiert, es entstehen solche Ausleger wie der, auf dem wir uns befinden. Eine Verkleinerung des Gletschers beruht auf dem Abschmelzen insbesondere dieser Ausleger und dem Abfließen des Wassers ins Tal.

In kalten Perioden bleibt allerdings mehr Schnee liegen als Wasser abfließt. Damit wächst der Gletscher, seine Ableger schieben sich ins Tal hinunter, die Eishöhe wächst. In wärmeren Perioden hat der Gletscher dagegen an seinen Rändern mehr Verluste, als im Winter durch Niederschläge aufgefüllt werden kann. Damit schmelzen die Ausleger langsam ab und die Gletscherdicke wird geringer.

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Die Spalte, an der wir gerade noch waren, liegt nun schon tief unter uns. Wir können jetzt weit ins Tal hinunter schauen.
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Über diese unüberschaubare Fläche sind wir gekommen. Als uns Inga nach dem bisherigen Weg fragt, findet ihn keiner von uns.

Seine größte Ausdehnung hatte der Jostedalsbreen wohl in den Eiszeiten, als er zu einer geschlossenen, kilometerdicken Eisdecke gehörte, die ganz Skandinavien einschließlich der Fjorde und Nordeuropa bis an die Mittelgebirge bedeckte.

Die Eismassen, die sich von Norden her vorschoben, brachten Gestein mit und formten die Landschaft, Berge wurden regelrecht rund geschliffen. In den Wärmeperioden, als das Eis abtaute, schnitten sich die in Richtung Meer strömenden Wassermassen in das Land ein.

Dass der Gletscher sozusagen lebt, hat ganz praktische Folgen für die, die auf ihm und seinen Auslegern herumklettern. Durch abfließendes Wasser werden tiefe Spalten gebildet, die unter Umständen aber nicht zu sehen sind, da eine dünne Eisschicht oder Schnee sie bedeckt. Wenn man eine solche Stelle ohne Seilsicherung betritt, kann man schnell mehrere Meter, aber auch mehrere hundert Meter tief fallen oder gleiten.

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So geht es in Richtung oben weiter, es ist bewölkt und nieselt ab und zu - aber das stört niemanden.
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Das Eis hat die umliegenden Berge mit unvorstellbarer Kraft glattgeschliffen.
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Je höher wir kommen, umso imposanter wird die Sicht ins Tal hinunter. Ganz unten in der Mitte, winzig, ein heller Punkt - ist das Breheimsenteret zu sehen.

In den Spalten wird man dann meist eingeklemmt und Eiswasser fließt von oben her über den Verunglückten. Die dann verbleibende Zeit für eine Rettung ist sehr kurz und liegt im Bereich von dreißig Minuten oder sogar weit darunter, weil der Körper die Kälte nicht lange ertragen kann. Im Normalfall kann man sich auch nicht aus eigener Kraft retten, da die nassen Eiswände so glatt sind, das man keinen Halt findet.

Inga zeigt uns die Eisschrauben, die ins Eis gebohrt werden und mit denen man Haltepunkte für Seile schaffen kann, um z.B. einen Verunfallten aus einer Spalte hochzuziehen. Sie betont, dass die Sicherheit durch das Seil auch nicht vollständig ist. Sollte ein unerfahrener erster Mann am Seil plötzlich einbrechen und im freien Fall in einer Spalte verschwinden, während sich die Seilschaft beispielsweise auf einem abschüssigen Stück ohne Halt befindet, so kann durch den Ruck einer nach dem anderen in die Spalte mitgerissen werden.

Die größte Gefahr liegt aber darin, dass sich der Gletscher ständig verändert. Spalten, die sich immer wieder neu bilden, Schnee, der die Spalten verdeckt oder Überhänge bildet, Eisüberhänge, die durch Abschmelzen geschwächt werden und plötzlich wegbrechen - das sind alles Gefahren, die unter Umständen nur Kundige erkennen können. Eine Strecke, die heute noch sicher ist, kann morgen schon in eine Katastrophe führen.

Dazu kommt noch, dass man sich selbst auf dem vergleichsweise überschaubaren Ausleger kaum orientieren kann. Die Eiswellen sehen für den Laien alle gleich aus. Erst mit viel Erfahrung kann man anhand verschiedener Methoden eine gute Orientierung erreichen. Als Inga uns auffordert, den Weg zurück anhand des Anmarschweges vorzuschlagen, gelingt das keinem von uns.

Nur durch den ständigen Informationsaustausch der Führer untereinander über die Veränderungen am Gletscher, ihre solide Ausbildung und ihre Erfahrung kann das geführte Besteigen des Gletschers auch für Laien weitgehend gefahrlos gestaltet werden. Von Alleingängen Unkundiger ist also dringendst abzuraten.

Dann wandern wir weiter bergauf, bis wir auf dem Ausleger oben angekommen sind. Man kann von hier aus den Bergeinschnitt sehen, durch den das Gletschereis herausgedrückt wird. Es wirkt sehr nah, wir wollen hin, aber Inga erklärt, dass das nicht geht. Es gibt keinen geraden Weg dorthin und sie erläutert uns, dass man bis dort hoch noch einmal etwa fünf Stunden gehen und klettern müsste. Dann wäre man erst am Rand des Gletschers, am Beginn der Hochfläche, die sich über viele Kilometer erstreckt. Dort hinauf gelangt man nur im Rahmen mehrtägiger Wanderungen, die dann Übernachtungen im Eis erfordern und für die man speziell ausgerüstet sein muss. Wir sind bereits 3 Stunden unterwegs und müssen nun - leider - zurück.

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In der Mitte sieht man den Übergang zum Gletscher selbst.
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Wir haben die obere Fläche des Ausläufers erreicht.
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In dieser Spalte halt - Fotosession!
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Unsere Seilschaft im Eisgebirge. Wir haben viel Spaß, mal Motiv - mal Fotograf.

Wir haben gar nicht gemerkt, dass schon drei Stunden seit unserem Aufbruch vergangen sind. Inga wendet und wir begeben uns auf den Rückweg, von hier oben haben wir einen wunderschönen Blick über den Ausleger und den vorgelagerten Eissee.

Bei einem Halt in einer engen Spalte erfahren wir, wie sich das Eis anfühlt. Rundherum ist Eis, alles, was man anfasst, ist kalt und man bleibt mit den Fingern kleben. Wenn man sich an die Eiswand anlehnt, merkt man sofort die Kälte durch die Doppeljacke und den Fließpullover.

Auf dem Rückweg treffen wir auf einige andere Seilschaften, die gerade rasten oder auch talwärts wandern. Immer folgt eine freundliche Begrüßung und ein kurzer Erfahrungsaustausch zwischen Inga und den anderen Führern, einmal zieht unsere Seilschaft sogar einen Kreis um die andere Gruppe. Aber alle Gruppen, denen wir begegnen, sind professionell ausgerüstet.

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Auf dem Rückweg.
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Ganz kann ich mich (noch) nicht hinter dem Seil verstecken, ein Foto, das den Begriff Seilschaft näher bringt.

Auf die Frage, warum die Oberfläche des Eises teilweise so schmutzig ist, erklärt uns Inga, dass dies durch Vogelkot, im Sommer heraufgewehten Staub und durch im Eis enthaltene Ablagerungen entsteht. So hatte sie uns schon das Skelett eines Lemmings gezeigt, der vor langer Zeit im Schnee des Gletschers gestorben war. Er wurde im Eis eingeschlossen und mit ihm nach unten transportiert. Jetzt ist er durch das Abschmelzen des Eises wieder freigelegt worden. Inga betont, dass das Eis, auf dem wir stehen, etwa achthundert Jahre alt ist.

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Evi gefällt das Eisklettern. In der Tasche hat(te) sie übrigens den Fotoapparat.
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Die Seilschaft hat sich eingespielt, es geht weiter abwärts.
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Wir sind wieder unten, am Rand der Gletscherzunge gibt es besonders viele Spalten.

Dann erreichen wir den Rand des Gletschers. Wir knoten uns wieder aus dem Seil und geben die Brustgurte ab, anschließend werden die Steigeisen abgelegt. Erst jetzt merken wir so richtig, dass die knapp fünf Stunden lange Wanderung ganz schön anstrengend war.

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Besonders im unteren Bereich des Ausläufers, wo der Druck sehr hoch war, findet man Blaueis.
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Hier wird Eis zu Wasser und fließt zu Tal, der Gletscher wird im Winter von oben wieder mit Schnee aufgefüllt.
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Immer wieder geht der Blick zurück - da oben waren wir vorhin noch.
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Schnell noch einmal posieren - ein Gletscherbesteiger.

Auf dem Weg zurück zur Bootsanlegestelle rutscht eine Frau aus unserer Seilschaft auf einem der glatten Steine aus und stürzt, verletzt sich aber glücklicherweise nicht. Als dann alle da sind, geht es mit dem Boot über den See zurück. Wir geben die Pickel und Steigeisen ab und verabschieden uns von Inga. An unserem Auto angekommen ziehen wir uns um, gönnen uns eine kleine Pause und machen noch ein paar Fotos.

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Ununterbrochen fließt das Wasser aus dem Gletscher - das ganze Jahr. Es wird im Winter durch den Schnee wieder ersetzt.
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Unsere Seilschaft wartet auf das Boot. Alle sind noch tief beeindruckt.
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Evi mit unseren Eispickeln - der Ausflug hat auch ihr gut gefallen.
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Dort oben sind wir vor kurzem noch herumgewandert.
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Zurück auf dem Parkplatz am Auto und umziehen, aber Zeit für ein Foto ist allemal.
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Auch Evi will noch einmal vorm Gletscherrand Brefront aufgenommen werden.
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Durch den Gletscher sind überall kleine Wasserfälle. Rechts unten ist die Materialausgabestation.
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In der anderen Richtung geht es ins Tal hinunter zum Breheimsenteret. Vor zweihundert Jahren war das gesamte Tal mit Eis gefüllt.

Anschließend fahren wir zurück auf den Parkplatz des "Breheimsenteret", um Kaffee zu kochen und ein paar Schnitten zu essen. Während wir Siesta halten, reißt plötzlich über dem Gletscher die Bewölkung auf und wir sehen ihn im Sonnenschein liegen. Wir können auch sehen, bis zu welcher Höhe wir etwa gewandert sind, die Bilder sind einfach überwältigend. Es wirkt, als wäre dort das Tor zu einer anderen, fernen Welt. Wir schauen noch eine ganze Weile zu, dann machen wir uns auf den Heimweg.

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Das Breheimsenteret. Es hat eine eigentümliche Form. Wo heute das Center steht, war vor zweihundert Jahren der Rand des Gletschers.
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Blick vom Parkplatz des Breheimsenteret auf die Gletscherzunge. Das Wetter beginnt sich zu bessern.
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Eine grandiose, düstere Stimmung, aber über dem Gletscher ist es jetzt sonnig.
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Evi hat sich gedacht, weiter oben sieht man besser.
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Der Gletscher gibt zum Abschied den Blick frei. Ein bisschen wirkt Evi auf diesem Bild wie der Geist des Gletschers.

Das Wetter  ist besser geworden, es hat aufgehört zu regnen, die dicken Wolken haben sich zurückgezogen. Wir fahren auf der wunderschönen Strecke zurück, auf der wir gekommen sind.

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Impressionen von der Straße 604. Wir sind auf der Rückfahrt, noch ganz im Bann des Gletschers.
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Die Sicht wird besser, aber immer noch "kratzen" die Wolken an den Bergspitzen.
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Der Fluss Jostedalselva links von der Straße wird fast ausschließlich durch den Gletscher gespeist.
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Der Tunnel bei Husøy.
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Zurück am Fjord.

In Kaupanger sehen wir von der Landstraße aus einen Coop-Laden. Es ist schon nach achtzehn Uhr, wir müssen auch noch mit der Fähre übersetzen. Wer weiß, ob wir dann in Lærdal noch zum Einkaufen kommen, ein Brot brauchen wir aber unbedingt. Also gehen wir gleich hier einkaufen. Zum Brot erwerben wir noch zwei Flaschen Bier, die Frau an der Kasse schaut ein wenig verwundert. Abends stellen wir dann fest, dass wir Malzbier gekauft haben. Es heißt "Vørterøl" und wird von Hansa hergestellt. Es gehört zur "Avgiftsklasse A", es enthält also keinen Alkohol.

Nach dem Einkaufen sind wir bald an der Fähre, zahlen die 116 NOK und fahren durch Lærdal zum Zeltplatz. Es ist schon nach neunzehn Uhr, wir gehen noch ein Stündchen an den Steg Angeln, aber wir fangen nichts. Dann gibt es Nudeln in Tomatensoße, Tee und anschließend noch Malzbier zum Abendbrot.

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Den ganzen Tag Billets gedruckt, 19:35 ist die Farbe fast alle. Aber der Preis ist derselbe wie früh.
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Mit der Fähre geht es in Richtung Fodnes.

Evi hat gestern bei der Vorbereitung der Gletschertour auch eine Routenbeschreibung für eine Wanderung von Fodnes nach Lærdal gefunden. Wir nehmen uns vor, wenn es morgen nicht in Strömen regnet, diese Tour zu wandern. Heute haben wir viele Eindrücke sammeln können und es war anstrengend - machen wir Nachtruhe.

 

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Auf dem Gletscher Jostedalsbreen
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