Wind am Fjord
11. Urlaubstag - Dienstag 26.08.2003

Da kein Wecker nachhilft, werden wir erst halb neun munter. Schon beim Aufstehen ahnen wir beide, dass heute nur ein sogenannter "Zwischentag" wird. Das Wetter ist bewölkt, windig - aber trocken. Zuerst gehen wir duschen, heute das erste Mal sehr vornehm. Allerdings wacht hier nun wieder ein unbestechlicher Automat über die Einhaltung der Duschzeiten. Dann frühstücken wir, es gibt das erste Mal Moltebeeren - Konfitüre. Die Moltebeeren ähneln unseren Himbeeren, nur sind sie gelb. Die Konfitüre ist sehr süß, mir schmeckt es, aber Evi ist das zu süß.

11. Tag, Bild 1
Das Wetter ist stürmisch - da bleibt nur das Angeln auf dem Betonklotz.

Das windige, düstere Wetter drückt aufs Gemüt. Evi weiß nicht, was sie machen will. Wandern - nein. Paddeln - nein. Am besten gar nichts tun, einfach nur ausruhen. Sie kriecht zurück in den Schlafsack. Ich jedoch will die neue Angelstelle besser kennen lernen, außerdem habe ich ja auch noch neue Blinker, die ausprobiert werden müssen. Da der Wind heute noch stärker als gestern Abend ist, versuche ich gar nicht erst, vom Boot aus zu angeln. Es würde ja doch nur eine wilde Paddelei daraus werden.

Ich schaue mir erst in aller Ruhe den Betonklotz und den Bootsteg an. Wenn man von unserem Stück Wiese nach rechts geht, kommt man nach zwei weiteren Stellplätzen an eine Art kleinen Platz. Geradeaus in Richtung Fjord befindet sich ein riesiger Felsbrocken, eigentlich schon ein Miniberg, auf dessen Spitze eine Holzbank steht. Links an diesem Brocken vorbei geht es über einen schmalen Weg von vielleicht fünfzehn Meter Länge hinunter zu dem steinigen Strand, den man auch von unserem Stellplatz aus sieht. Geht man aber rechts um den Felsen herum, dann gabelt sich der Weg, nach rechts geht es zum Steg, geradeaus ist die "Fischfabrik" und leicht links kommt man zum Betonbrocken. Dieser ist dem Felsen in Richtung Wasser vorgelagert und hat vielleicht früher als Anlegestelle gedient. Heute wird er zum Angeln benutzt. Er ragt bei Flut etwa noch einen Meter aus dem Wasser.

Die "Fischfabrik", dieser Name steht eingebrannt auf einer Holztafel über dem Gebilde, besteht im Wesentlichen aus einem Holztisch. Links neben diesem Holztisch gibt es noch eine Ablage, auf der ein angebundener Eimer steht. Sicher ist das Ganze zum Ausnehmen von Fischen gedacht, aber das ist vorerst nur eine Vermutung. Rechts schließt sich der Bootssteg an, der durch seine Zweiteilung wie ein Hafen wirkt. Dort liegen einige Boote mit Außenbordmotor, auch einige Schlauchboote sind darunter.

Ich habe erst einmal genug gesehen und begebe mich mit meiner Ausrüstung auf den Betonklotz, um zu angeln. Es herrscht frischer auflandiger Wind, das Auswerfen ist schon nicht ganz einfach. Und ich fange nichts, obwohl ich mich bemühe, die Blinker wechsle und immer wieder andere Stellen abblinkere. Dann ziehe ich ein Bündel Seetang aus dem Wasser. Beim Befreien des Blinkers fällt mir ein kleiner Seestern auf. Den muss ich Evi zeigen! Ich nehme ihn auf die Hand und gehe zu unserem Zelt.

11. Tag, Bild 2
Mit Tieren und Fischen hat unser Fotoapparat ein Problem. Den Seestern habe ich in einem Krautbüschel gefunden, in das sich der Blinker verhakt hatte.

Es ist mittlerweile schon gegen ein Uhr, Evi ist aufgestanden und hat Reis mit mexikanischen Bohnen gekocht. Wir leben immer noch von unseren mitgebrachten Vorräten. Evi will nach dem Mittagessen nach Vik fahren, zu einem Stadtbummel habe ich aber keine Lust. Es wurmt mich viel zu sehr, dass ich am Vormittag nichts gefangen habe. Also einigen wir uns so, Evi fährt in die Stadt und ich gehe wieder angeln.

Im Gegensatz zum Vormittag, als ich ganz allein auf dem Klotz stand, kommt jetzt noch ein älterer Herr aus Deutschland zum Angeln. Eine Weile blinkern wir so nebeneinander her. Der Wind ist nicht schwächer geworden. Plötzlich biegt sich seine Angelrute und er zieht kurz darauf eine dreißig Zentimeter lange Makrele aus dem Wasser. Dann geht es auf einmal auch bei mir los. In kurzer Zeit fange ich sieben Makrelen, alle zwischen dreißig und vierzig Zentimeter lang. Eingedenk der Aussage von Evi, dass sie weder Fisch ausnehmen noch zubereiten will, verschenke ich meine Makrelen an den älteren Herrn. So kommen wir schnell ins Gespräch und ich erfahre viel Wissenswertes.

Er hat hier eine Hütte gemietet und kommt öfter hierher. Wir unterhalten uns über unsere Erfahrungen in Norwegen. Dann gesellt sich der junge Mann zu uns, der gestern mit seiner Frau eine Stunde nach uns und zwei Stellplätze links von uns sein Zelt aufgebaut hat. Er kommt aus den Niederlanden, kann aber Deutsch und auch Englisch. Auch er hat eine Angel mit. Wir angeln nun zu dritt weiter, sowohl der ältere als auch der jüngere Mann fangen jeder einige Makrelen. Es sieht ganz so aus, als würde sich vor dem Betonklotz ein Schwarm Makrelen "niedergelassen" haben. Obwohl wir alle drei hart zu tun haben, unterhalten wir uns weiter.

11. Tag, Bild 3
Der Wasserstand geht in Richtung Ebbe, wir sind noch mehr Angler geworden. In der Ferne deutet sich der nahende Sturm an.

Die Fischfabrik ist wirklich zum Ausnehmen der Fische gedacht. Die Abfälle werden in den Fjord zurückgeworfen, der Fjord sei ja relativ nährstoffarm, die Fische bräuchten jede Nahrung, die sie kriegen können. Auf dem Zeltplatz seien viele Deutsche, verschiedene kämen hierher, um drei Wochen zu fischen und dann mit dem Fang, verpackt in Kühltruhen, wieder nach Deutschland zu fahren. Es seien einige dabei, die schon seit vielen Jahren hierher kommen und den Zeltplatz und die Hütten mit aufgebaut hätten. Sie würden auch über ordentliche Ausrüstungen verfügen, Boote mit Außenbordmotoren und hätten es nicht nötig, vom Steg aus zu angeln.

Im Frühjahr sei es auch zu einem Schlauchbootunfall gekommen. Beim Beschleunigen ist ein Schlauchbootfahrer durch den Ruck aus seinem Boot gekippt. Da er eine Art Feststellgas hatte, sei das Boot mit hoher Geschwindigkeit führerlos im Kreis gefahren, während er im Wasser geschwommen sei, viel zu weit draußen, um aus eigener Kraft ans Land gelangen zu können. Nur weil ein anderer Bootsfahrer das Drama beobachtet hatte und zu Hilfe geeilt sei, konnte der Schlauchbootfahrer gerettet werden. Die Wassertemperatur wäre da wohl gerade mal sechs Grad gewesen. Das Schlauchboot musste gerammt werden, um es anzuhalten und dann bergen zu können.

11. Tag, Bild 4
Zeugnisse von Evis Einkaufsbummel.
11. Tag, Bild 5
Während ich jede Menge Makrelen fange, kauft Evi Sei - Filet. Es hat sehr gut geschmeckt.

Wenig später kommt Evi aus der Stadt zurück und erklärt mir freudestrahlend, sie habe Fisch gekauft. Ich schaue zunächst gar nicht fröhlich und sie wundert sich. Als ich ihr erkläre, dass ich gerade eine größere Menge Fisch verschenkt habe, müssen wir beide lachen. Wir machen uns einen Kaffee und angeln dann gemeinsam vom Steg aus. Evi fängt eine kleine Meeresforelle, ich noch einige Makrelen, die aber immer kleiner werden und die wir zurücksetzen. Gegen 19 Uhr beschließen wir, zum Zwecke des Fangens von größeren Fischen noch einmal mit dem Boot rauszufahren. Wir sind noch nicht weit gekommen, da ruft Evi, sie will wieder ans Land. Die Wellen erreichen mittlerweile eine Höhe von über einem halben Meter. Dass wilde Geschaukel will Evi sich nicht antun, ihr wird schlecht davon.

Ich bringe sie an Land und versuche es eine dreiviertel Stunde lang allein. Aber ich komme sehr wenig zum Angeln, da der Wind ziemlich stark ist. Das Boot treibt verblüffend schnell ab und ich muss fast ununterbrochen zurückpaddeln. Dann merke ich, dass der Wind noch stärker und die Wellen noch höher geworden sind, sie erreichen jetzt einen dreiviertel Meter und mehr und haben schon Schaumkronen. Angeln kann ich nun vergessen. Ich habe jetzt Mühe, ans Ufer zurück zu kommen. Der Wind weht von halblinks quer über den Fjord in Richtung unseres Ufers. Mühevoll paddle ich mit dem Boot in eine Position, aus der ich mit dem Wind im Rücken an der richtigen Stelle auf den Strand treffen sollte. Kurz darauf sause ich mit einer hohen Geschwindigkeit am Betonklotz vorbei und bremse mit viel Mühe und Körpereinsatz am Strand, ohne anzuecken.

11. Tag, Bild 6
Gegen Abend wird es dann schlimm - starker Wind aus Nord-West, Regen und hohe Wellen.

Das größte Problem bei einem solchen Wind ist das leere Boot. Ich knie etwa in der Mitte des Ally, fast die gesamte Seitenfläche befindet sich über dem Wasser. Bei fünf Meter Länge ist das schon eine ganz schöne Segelfläche. Solange man direkt gegen oder vor dem Wind paddelt, geht es ja auch noch. Will man aber schräg gegen oder mit dem Wind paddeln, dann liegt eine Hälfte des Bootes direkt im Wind. Durch den Druck auf die hoch aus dem Wasser stehende Bordwand wird man mit der Breitseite zum Wind gedreht. Klingt erst mal nicht schlimm, aber bei Wind sind immer auch Wellen, die dann die Breitseite des Bootes treffen und ab einer bestimmten Wellenhöhe besteht in einem solchen Fall die Gefahr, zu kentern oder voll Wasser zu schlagen.

Ich weiß, dass hier ein Treibanker helfen kann. Er wird an der Spitze des Bootes an einer zehn bis fünfzehn Meter langen Leine befestigt und erzeugt im Wasser einen Widerstand. Im einfachsten Fall genügt wohl sogar ein Sack oder ein Eimer. Wenn jetzt der Wind gegen das Boot weht, wird sich dieses aufgrund des Widerstandes des Ankers immer mit der Spitze in den Wind drehen und die Wellen in einem optimalen Winkel schneiden. Dann hat man die Hände für andere Sachen frei, die Gefahr zu kentern wird geringer, und man muss nicht soviel Kraft verbrauchen, bloß um das Boot im richtigen Winkel zum Wind zu halten. Ich nehme mir vor, mich um einen solchen Treibanker zu kümmern und die Sache später einmal auszuprobieren.

Evi hilft mir beim Hochtragen des Bootes zum Zelt. Der Wind wird zusehends immer stärker und nimmt den Charakter eines Unwetters an. Wir ziehen uns ins Zelt zurück und kochen in der geschlossenen Upside. Eine andere Chance haben wir nicht, der Wind bläst uns den Kocher sonst aus. Evi hat den Lachs in kleine Würfel geschnitten, da wir nur zwei winzige Töpfe mithaben. So speisen wir in mehreren Gängen, während das Zelt unter dem Sturm ächzt und flattert. Es wird uns langsam unheimlich. Draußen beginnt die Dämmerung. Der Betonklotz wird mittlerweile von den Wellen überspült, das heißt, dass sie inzwischen ein bis zwei Meter hoch sind. Das Boot, das seitlich vom Zelt mit dem Boden nach oben liegt, beginnt sich scheinbar von selbst zu bewegen. Das Zelt verformt sich unter dem Druck. Schlimm sind die Böen, die fast die Heringe aus dem Boden reißen, die Zeltwände knallen richtig bei den Lastwechseln.

Noch hält alles, aber wir wissen natürlich nicht, wie sich der Sturm weiter entwickelt. Wir wollen nicht im Schlaf wegfliegen, also fährt Evi das Auto im richtigen Winkel als Windschutz vor das Zelt. Das Boot legen wir parallel zum Auto vor das Zelt. Ich binde es an den Spitzen fest, auf der einen Seite an einen stabilen Pfahl, der die Nummer unseres Stellplatzes trägt und auf der anderen Seite an der Anhängekupplung des Autos. In diesem Moment fängt es auch noch an zu schütten. Jetzt wird es endgültig ungemütlich draußen. Wir sehen noch, dass auch einige andere Camper ihr Auto als Windschutz platzieren, dann verkriechen wir uns schnell ins Zelt. Die Maßnahmen zeigen Wirkung - das Zelt steht jetzt ruhiger. Wir kochen uns in der geschlossenen Upside noch einen Kaffee. Irgendwann siegt dann doch die Müdigkeit, der abendliche Gang zur Sanitäranlage muss heute angesichts des Wetters ausnahmsweise ausfallen und wir schlafen trotz des Unwetters ein.

 

 10.Tag 
Wind am Fjord
11. Urlaubstag - Dienstag 26.08.2003
 12.Tag